

Zeit des
Erwachens
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www.fondsprofessionell.de| 1/2017
markt & strategie I
value-fonds
Foto: © Fotolia | Christos Georghiou
L
angfristig betrachtet verdient man mit
Value-Aktien besser als mit Wachstums-
werten. Sehr langfristig betrachtet. Denn
die Anhänger dieser These werden zwischen
den ertragreichen Phasen dieser Aktienkate-
gorie immer wieder auf harte Proben gestellt.
Auch in den zurückliegenden Jahren mussten
sie fast ununterbrochen mit ansehen, wie ihr
Anlageansatz im Performancewettstreit mit
Growth-Aktien den Kürzeren zog. Im Sep-
tember 2016 wendete sich das Blatt. Wie
deutlich anziehende Mittelzuflüsse in Value-
Fonds und -ETFs belegen, rissen sich die
Anleger plötzlich förmlich um Value-Aktien.
Am Jahresende hatten die entsprechenden
Indizes klar die Nase vorn: So kam der MSCI
Value Index 2016 auf ein Plus von 13,2 Pro-
zent, während der MSCI Growth Index nur
um 3,2 Prozent zulegte.
Aktuell stellt sich die Frage, ob das ein tem-
poräres Phänomen war oder ob Value dauer-
haft die Favoritenrolle übernommen hat. Vor
der Suche nach einer Antwort empfiehlt es
sich zu klären, was unter dem Begriff Value-
Investing eigentlich zu verstehen ist. Denn
wie Hans-Peter Schupp bestätigt, gibt es dazu
verschiedene Definitionen. Der Fondsmanager
des Fidecum Contrarian Value Euroland
orientiert sich bei seiner Titelauswahl strikt an
den Lehren von Benjamin Graham, dem
Gründervater der Value-Strategien. Bei der
Beurteilung einer Aktie ist für ihn ausschließ-
lich die Bewertung gemessen am Gewinnpo-
tenzial des Unternehmens ausschlaggebend.
Schon etwas weiter fasst den Begriff dage-
gen Henrik Leber, ein altgedienter Value-Ve-
teran. Der Mitgründer und Fondsmanager des
Vermögensverwalters Acatis pocht zwar eben-
falls darauf, Aktien nur unter Wert zu kaufen,
er achtet aber auch auf das Momentum und
darauf, wie Analysten einen Titel einschätzen.
„Beginnt eine als Value identifizierte Aktie zu
laufen, finden wir das gut. Positiv sehen wir
es auch, wenn Topanalysten anfangen, ihre
Meinung zu einem Wert zu ändern. Denn es
ergibt keinen Sinn, gegen Analysten und
komplett gegen den Markt zu arbeiten“, fasst
Leber seine Erfahrungen zusammen.
Noch umfassender bringt Shareholder Va-
lue Management die Prinzipien des Value-
Investing auf den Punkt. Für das Frankfurter
Investmenthaus handelt es sich dabei um eine
antizyklische Kapitalanlage in unterbewertete
Titel. Ob eine Aktie interessant ist, entschei-
den vier Prinzipien: erstens die Sicherheits-
marge, die bei einem ausreichend hohen Ab-
schlag zum fairen Wert gegeben ist. Zweitens
die Qualität des Managements, drittens der
„wirtschaftliche Burggraben“, also die Wett-
bewerbsvorteile eines Unternehmens. Viertens
spielt auch die Börsenpsychologie eine Rolle.
Chief Investment Officer Frank Fischer, der
den Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen
managt, beruft sich in dieser Angelegenheit
auf Value-Legende Warren Buffett, der einst
empfahl: „Sei ängstlich, wenn andere gierig
sind. Sei gierig, wenn andere ängstlich sind.“
Fischer formuliert es so: „Es ist entscheidend,
die Momente zu erkennen, in denen die
Mehrheit der Marktteilnehmer euphorisch
oder panisch agiert. Denn hieraus ergeben
sich wesentliche Chancen für den langfristi-
gen Investor.“
Unterm Strich handelt es sich bei dieser
Auslegung der Value-Idee also um einen
komplexen Ansatz, der nicht nur Bewertung
und Qualität von Unternehmen berücksichtigt,
sondern auch die Stimmung am Markt. Leber
betont in diesem Zusammenhang, dass auch
Wachstumsunternehmen unerkannt und damit
günstig sein können. Welche Länder und
Branchen gerade als unterbewertet einzustu-
fen sind, kann somit wechseln – dogmatische
Einschätzungen sind fehl am Platz.
Wann läuft Value?
Bleibt die Frage, in welchem Umfeld Va-
lue-Aktien typischerweise überdurchschnitt-
lich abschneiden. Basierend auf historischen
Erfahrungen hat Stefan Rondorf, Kapital-
marktstratege bei Allianz Global Investors,
dafür drei volkswirtschaftliche Haupttreiber
ausgemacht: das Wirtschaftswachstum, die
Inflationserwartungen und die Tendenz der
Anleihenrenditen. Warum diese Faktoren ent-
scheidend sind, erklärt Thomas Lee, Mit-
gründer der Research-Boutique Fundstrat
Global Advisors: „Eine höhere Inflation im-
pliziert ein höheres nominales Wachstum des
Bruttoinlandsprodukts. Im Gegenzug führen
bessere Wachstumsaussichten dazu, dass
Wachstum keine Mangelware mehr ist – und
Value-Aktien hinkten Growth-Titeln jahrelang hinterher. Doch im Herbst 2016 hat
sich dieser Trend gedreht. Was die Wachablösung für Investoren bedeutet.
Viele Märchen erzählen von einer schönen Prinzessin, die lange schläft, bevor sie wieder erwacht. So mancher Value-
Investor wird sich derzeit fühlen wie der Prinz, der lange auf diesen Augenblick gewartet hat.