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www.fondsprofessionell.de

| 1/2017

„Das ist ein großer Unterschied“, sagt

Kroll. Dieser ergibt sich daraus, dass bei ei-

nem Gerichtsverfahren nach dem KapMuG

sowohl Rechts- als auch Tatfragen entschie-

den werden. Der SPD-Entwurf hingegen de-

finiert lediglich eine Klärung von Rechtsfra-

gen. „Wird eine Rechtsfrage entschieden, so

steht hinterher fest, dass zum Beispiel eine

Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbe-

dingungen eines Assekuranz-Unternehmens

nicht rechtskonform ist“, erläutert Kroll. Ein

solches Urteil sagt aber nichts darüber aus, ob

ein Verbraucher, der sich dem Verfahren an-

geschlossen hat, durch den rechtswidrigen

Passus auch geschädigt worden ist. „Genau

das ist eine sogenannte Tatfrage“, erklärt

Kroll. Und um diese klären zu lassen, muss

jeder einzelne Verbraucher für sich einen ge-

sonderten Prozess anstrengen.

Gerichte entlasten

Welches Ziel der Gesetzgeber mit einer ge-

trennten Klärung von Rechts- und Tatfragen

verfolgt, ist leicht zu durchschauen: Einerseits

sollen Verbraucher besser geschützt werden.

Andererseits möchte Maas Unternehmen vor

Gruppenklagen bewahren, die möglicherweise

mit horrenden Schadensersatzzahlungen an

eine Vielzahl von Klägern ausgehen. „Der

Justizminister erhofft sich von diesem Vor-

schlag offenbar, dass die Klärung von Rechts-

fragen Druck auf die betroffenen Unterneh-

men ausüben wird“, erklärt Experte Kroll. Da-

mit soll es häufiger zu Vergleichen kommen,

wodurch die Gerichte entlastet würden.

Aber: Genau das Gegenteil könnte eintre-

ten. „Wenn eine Rechtsfrage zugunsten der

Kunden entschieden wird, kann etwa eine

Bank oder eine Versicherung durchaus davon

ausgehen, dass längst nicht jeder angeschlos-

sene Verbraucher klagen wird“, sagt Kroll.

Zudem ist nicht gesagt, welcher Kläger seine

Ansprüche am Ende durchsetzen kann und

wie viele auf der Strecke bleiben. „Das ist et-

was ganz anderes als in den USA, wo echte

Sammelklagen an der Tagesordnung sind“,

sagt auch Rechtsanwalt Wirth. Einer solchen

„Class Action“, bei der sowohl Rechts- als

auch Tatfragen entschieden werden, müssen

sich Anleger und Verbraucher noch nicht ein-

mal anschließen. Hat die Gruppenklage Er-

folg, so können neben dem Kläger auch alle

weiteren Personen ihre Ansprüche durchset-

zen, die in gleicher Weise von dem entschie-

denen Sachverhalt betroffen sind.

Gesetz ist ein Papiertiger

Damit werden Unternehmen in den USA

dazu gebracht, sich auf Vergleiche einzulas-

sen. Schließlich wissen sie im Voraus über-

haupt nicht, wie groß die Gruppe derer sein

wird, die nach einem Prozess Ansprüche an-

melden. Das geplante Musterfeststellungs-

gesetz hingegen sei vielmehr ein Papiertiger.

„Für Berater und Vermittler ist das gut“, findet

der Experte. Denn auch falls das Gesetz so

verabschiedet würde wie derzeit geplant, und

selbst wenn es zu Klagen gegen Einzelperso-

nen kommen sollte, hätten sie keinesfalls

„amerikanische Zustände“ zu befürchten.

Rechtsanwalt Wirth erkennt sogar einen po-

sitiven Aspekt in den Plänen von Heiko Maas:

„Finanzberater und Versicherungsvermittler

stehen im Dienste ihrer Kunden“, sagt er.

Stellt sich in einem Musterverfahren heraus,

dass bei einem vermittelten Produkt rechtlich

etwas schiefgelaufen ist, sollten sie nicht

ängstlich abwarten. „In diesem Fall sollten sie

lieber auf die Klientel zugehen und über das

Urteil informieren“, findet Wirth. Und den

gefürchteten Begriff der Sammelklage könn-

ten Berater ein für alle Mal vergessen. „Die

wird es in Deutschland nicht geben“, sagt der

Experte überzeugt.

ANDREA MARTENS |

FP

Matthias Kroll, Dr. Nietsch & Kroll Rechtsanwälte:

„Sammelklagen werden nicht zum ersten Mal diskutiert.“

Nicht jeder kämpft für sich allein: Die aktuelle Rechtslage

Seit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Ende ver-

gangenen Jahres den Entwurf für ein Gesetz über soge-

nannte Musterfeststellungsklagen vorgelegt hat, fürchten

Unternehmen und Finanzberater, sie könnten künftig in

einem einzigen Prozess vielfach verklagt werden. Es

gibt allerdings auch jetzt schon durchaus Mög-

lichkeiten, mehrere Einzelklagen in einem Pro-

zess gebündelt zu führen. FONDS professionell

gibt eine kurze Übersicht über die momentane

Rechtslage.

Zivilprozessordnung:

Die Zivilprozess-

ordnung (ZPO) legt fest, dass jeder für sich

allein klagen muss. Urteile, die in Zivilprozessen

ergehen, entfalten grundsätzlich eine Bindungs-

wirkung „inter partes“ und nicht „inter omnes“.

Das bedeutet, sie gelten bindend immer nur für die

Parteien, die an dem Verfahren beteiligt waren, jedoch

nicht für weitere Personen.

Prozessverbindung:

Paragraf 147 ZPO sieht eine Aus-

nahme in der Zivilprozessordnung vor. Er definiert, dass

mehrere Klagen identischen Inhalts zu einem Verfahren

verbunden werden dürfen. Die Entscheidung über eine

Prozessverbindung trifft immer das zuständige Gericht.

Subjektive Klagehäufigkeit:

Die zweite Ausnahme

von der Bindungswirkung inter partes ist in Paragraf

59 ff ZPO definiert. Liegt eine sogenannte sub-

jektive Klagehäufigkeit vor, können mehrere Klagen

zusammengeführt werden, sofern sie alle densel-

ben Streitgegenstand haben. Über eine Verbin-

dung von Einzelfällen nach Paragraf 59 ff. ZPO

entscheidet bereits der Rechtsanwalt, der bei

Gericht nur eine einzige Klage einreicht. Pro-

zessverbindungen nach Paragraf 147 ZPO und

Zusammenführungen nach Paragraf 59 ff. ZPO

kommen in der Praxis allerdings selten vor.

Verbandsklagen:

Verbände und Verbraucherzentralen

haben die Möglichkeit, Musterklagen gegen Unterneh-

men – etwa gegen Banken, Versicherer oder Finanzvertrie-

be – zu führen. Gerade im Sinne des kollektiven Verbrau-

cherschutzes werden recht häufig Klagen eingereicht, etwa

wenn eine Verbraucherzentrale der Ansicht ist, bestimmte

Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines

Finanzdienstleisters seien rechtswidrig. Ergeht ein entspre-

chendes Urteil, so hat sich die unterlegene Partei daran zu

halten, für andere Unternehmen oder Personen hat die Ent-

scheidung jedoch keine Bindungswirkung. Verbandsklagen

sind eher als präventive Maßnahmen einzustufen.

Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (Kap-

MuG):

Das Gesetz ist in seiner ersten Fassung im August

2005 in Kraft getreten. Hintergrund der Einführung waren

rund 16.000 gleich gelagerte Verfahren von Aktionären

gegen die Deutsche Telekom. Das KapMuG soll es mut-

maßlich geschädigten Anlegern erleichtern, Schadens-

ersatzansprüche durchzusetzen, indem es Musterverfahren

aufgrund fehlerhafter, irreführender oder unterlassener

Kapitalmarktinformationen ermöglicht. Verfahren nach dem

KapMuG können geführt werden, wenn mindestens zehn

Klagen mit identischen Inhalten in ein elektronisches

Klageregister eingetragen werden. Urteile, die in einem

Musterverfahren nach KapMuG erstritten werden, gelten

bindend für alle im Register eingetragenen Kläger.