

341
www.fondsprofessionell.de| 1/2017
„Das ist ein großer Unterschied“, sagt
Kroll. Dieser ergibt sich daraus, dass bei ei-
nem Gerichtsverfahren nach dem KapMuG
sowohl Rechts- als auch Tatfragen entschie-
den werden. Der SPD-Entwurf hingegen de-
finiert lediglich eine Klärung von Rechtsfra-
gen. „Wird eine Rechtsfrage entschieden, so
steht hinterher fest, dass zum Beispiel eine
Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbe-
dingungen eines Assekuranz-Unternehmens
nicht rechtskonform ist“, erläutert Kroll. Ein
solches Urteil sagt aber nichts darüber aus, ob
ein Verbraucher, der sich dem Verfahren an-
geschlossen hat, durch den rechtswidrigen
Passus auch geschädigt worden ist. „Genau
das ist eine sogenannte Tatfrage“, erklärt
Kroll. Und um diese klären zu lassen, muss
jeder einzelne Verbraucher für sich einen ge-
sonderten Prozess anstrengen.
Gerichte entlasten
Welches Ziel der Gesetzgeber mit einer ge-
trennten Klärung von Rechts- und Tatfragen
verfolgt, ist leicht zu durchschauen: Einerseits
sollen Verbraucher besser geschützt werden.
Andererseits möchte Maas Unternehmen vor
Gruppenklagen bewahren, die möglicherweise
mit horrenden Schadensersatzzahlungen an
eine Vielzahl von Klägern ausgehen. „Der
Justizminister erhofft sich von diesem Vor-
schlag offenbar, dass die Klärung von Rechts-
fragen Druck auf die betroffenen Unterneh-
men ausüben wird“, erklärt Experte Kroll. Da-
mit soll es häufiger zu Vergleichen kommen,
wodurch die Gerichte entlastet würden.
Aber: Genau das Gegenteil könnte eintre-
ten. „Wenn eine Rechtsfrage zugunsten der
Kunden entschieden wird, kann etwa eine
Bank oder eine Versicherung durchaus davon
ausgehen, dass längst nicht jeder angeschlos-
sene Verbraucher klagen wird“, sagt Kroll.
Zudem ist nicht gesagt, welcher Kläger seine
Ansprüche am Ende durchsetzen kann und
wie viele auf der Strecke bleiben. „Das ist et-
was ganz anderes als in den USA, wo echte
Sammelklagen an der Tagesordnung sind“,
sagt auch Rechtsanwalt Wirth. Einer solchen
„Class Action“, bei der sowohl Rechts- als
auch Tatfragen entschieden werden, müssen
sich Anleger und Verbraucher noch nicht ein-
mal anschließen. Hat die Gruppenklage Er-
folg, so können neben dem Kläger auch alle
weiteren Personen ihre Ansprüche durchset-
zen, die in gleicher Weise von dem entschie-
denen Sachverhalt betroffen sind.
Gesetz ist ein Papiertiger
Damit werden Unternehmen in den USA
dazu gebracht, sich auf Vergleiche einzulas-
sen. Schließlich wissen sie im Voraus über-
haupt nicht, wie groß die Gruppe derer sein
wird, die nach einem Prozess Ansprüche an-
melden. Das geplante Musterfeststellungs-
gesetz hingegen sei vielmehr ein Papiertiger.
„Für Berater und Vermittler ist das gut“, findet
der Experte. Denn auch falls das Gesetz so
verabschiedet würde wie derzeit geplant, und
selbst wenn es zu Klagen gegen Einzelperso-
nen kommen sollte, hätten sie keinesfalls
„amerikanische Zustände“ zu befürchten.
Rechtsanwalt Wirth erkennt sogar einen po-
sitiven Aspekt in den Plänen von Heiko Maas:
„Finanzberater und Versicherungsvermittler
stehen im Dienste ihrer Kunden“, sagt er.
Stellt sich in einem Musterverfahren heraus,
dass bei einem vermittelten Produkt rechtlich
etwas schiefgelaufen ist, sollten sie nicht
ängstlich abwarten. „In diesem Fall sollten sie
lieber auf die Klientel zugehen und über das
Urteil informieren“, findet Wirth. Und den
gefürchteten Begriff der Sammelklage könn-
ten Berater ein für alle Mal vergessen. „Die
wird es in Deutschland nicht geben“, sagt der
Experte überzeugt.
ANDREA MARTENS |
FP
Matthias Kroll, Dr. Nietsch & Kroll Rechtsanwälte:
„Sammelklagen werden nicht zum ersten Mal diskutiert.“
Nicht jeder kämpft für sich allein: Die aktuelle Rechtslage
Seit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Ende ver-
gangenen Jahres den Entwurf für ein Gesetz über soge-
nannte Musterfeststellungsklagen vorgelegt hat, fürchten
Unternehmen und Finanzberater, sie könnten künftig in
einem einzigen Prozess vielfach verklagt werden. Es
gibt allerdings auch jetzt schon durchaus Mög-
lichkeiten, mehrere Einzelklagen in einem Pro-
zess gebündelt zu führen. FONDS professionell
gibt eine kurze Übersicht über die momentane
Rechtslage.
Zivilprozessordnung:
Die Zivilprozess-
ordnung (ZPO) legt fest, dass jeder für sich
allein klagen muss. Urteile, die in Zivilprozessen
ergehen, entfalten grundsätzlich eine Bindungs-
wirkung „inter partes“ und nicht „inter omnes“.
Das bedeutet, sie gelten bindend immer nur für die
Parteien, die an dem Verfahren beteiligt waren, jedoch
nicht für weitere Personen.
Prozessverbindung:
Paragraf 147 ZPO sieht eine Aus-
nahme in der Zivilprozessordnung vor. Er definiert, dass
mehrere Klagen identischen Inhalts zu einem Verfahren
verbunden werden dürfen. Die Entscheidung über eine
Prozessverbindung trifft immer das zuständige Gericht.
Subjektive Klagehäufigkeit:
Die zweite Ausnahme
von der Bindungswirkung inter partes ist in Paragraf
59 ff ZPO definiert. Liegt eine sogenannte sub-
jektive Klagehäufigkeit vor, können mehrere Klagen
zusammengeführt werden, sofern sie alle densel-
ben Streitgegenstand haben. Über eine Verbin-
dung von Einzelfällen nach Paragraf 59 ff. ZPO
entscheidet bereits der Rechtsanwalt, der bei
Gericht nur eine einzige Klage einreicht. Pro-
zessverbindungen nach Paragraf 147 ZPO und
Zusammenführungen nach Paragraf 59 ff. ZPO
kommen in der Praxis allerdings selten vor.
Verbandsklagen:
Verbände und Verbraucherzentralen
haben die Möglichkeit, Musterklagen gegen Unterneh-
men – etwa gegen Banken, Versicherer oder Finanzvertrie-
be – zu führen. Gerade im Sinne des kollektiven Verbrau-
cherschutzes werden recht häufig Klagen eingereicht, etwa
wenn eine Verbraucherzentrale der Ansicht ist, bestimmte
Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines
Finanzdienstleisters seien rechtswidrig. Ergeht ein entspre-
chendes Urteil, so hat sich die unterlegene Partei daran zu
halten, für andere Unternehmen oder Personen hat die Ent-
scheidung jedoch keine Bindungswirkung. Verbandsklagen
sind eher als präventive Maßnahmen einzustufen.
Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (Kap-
MuG):
Das Gesetz ist in seiner ersten Fassung im August
2005 in Kraft getreten. Hintergrund der Einführung waren
rund 16.000 gleich gelagerte Verfahren von Aktionären
gegen die Deutsche Telekom. Das KapMuG soll es mut-
maßlich geschädigten Anlegern erleichtern, Schadens-
ersatzansprüche durchzusetzen, indem es Musterverfahren
aufgrund fehlerhafter, irreführender oder unterlassener
Kapitalmarktinformationen ermöglicht. Verfahren nach dem
KapMuG können geführt werden, wenn mindestens zehn
Klagen mit identischen Inhalten in ein elektronisches
Klageregister eingetragen werden. Urteile, die in einem
Musterverfahren nach KapMuG erstritten werden, gelten
bindend für alle im Register eingetragenen Kläger.