Vergangenen Dezember hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine lang erwartete Beurteilung komplexer Detailfragen zum Versicherungsrücktritt veröffentlicht. Auf Basis des differenzierenden Urteils folgen nun in Österreich die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (OGH). Diesmal bekommt die Kundenseite vom OGH recht.

Das Gericht entschied, dass eine Verjährung nach dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) beim Recht auf Spätrücktritt von einer Lebensversicherung nicht gilt. Weiters bestätigte das Gericht, dass bei einem Spätrücktritt die von der Versicherung geforderte Begrenzung auf den günstigeren Rückkaufswert (anstatt der Rückzahlung der vollen Prämie) nicht zulässig ist. 

Ausgangslage
Die Klägerin hatte im Jahr 2001 eine fondsgebundene Lebensversicherung mit einer Vertragslaufzeit von 20 Jahren abgeschlossen. Sie war bei Vertragsabschluss nicht über das Rücktrittsrecht nach dem Versicherungsvertragsgesetz aufgeklärt worden: Der Versicherungsantrag enthielt zwar einen Hinweis auf einwöchige Rücktrittsrechte nach § 3 KSchG. Eine Informationsbroschüre mit dem Hinweis auf das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG, das eine zweiwöchige Frist vorsieht, war dem Versicherungsantrag aber nicht angeschlossen. Im Jahr 2008 wurde der Versicherungsvertrag prämienfrei gestellt. Die Klägerin erklärte schriftlich im Jahr 2017 ihren Rücktritt vom Versicherungsvertrag.

Die Versicherung hatte daraufhin eingewendet, dass es nach § 1487 ABGB eine dreijährige Verjährungsfrist ab Vertragsabschluss gibt. Außerdem stehe der Versicherten selbst im Fall eines berechtigten Rücktritts nur der Rückkaufswert zu. Beides wies der OGH mit Verweis auf den EuGH zurück. Wenn der Rücktritt berechtigt ist und die Frist dafür nicht zu laufen begonnen hat, kann das Rücktrittsrecht nicht durch das ABGB auf drei Jahre verkürzt werden. Darüber hinaus bekräftigte der OGH die EuGH-Feststellung, dass die österreichische Regelung, die eine Begrenzung auf den Rückkaufswert ermöglicht, nicht EU-konform ist.

Urteil mit Folgen
Das differenzierende Urteil des EuGH vom Dezember besagt zwar, dass die Gerichte durch ihre Urteile auf keinen Fall eine Geschäftemacherei durch Kunden fördern dürfen – wenn man ewig vom Vertrag zurücktreten kann, könnte man schließlich praktisch ohne Risiko eine kapitalmarktabhängige Versicherung abschließen und später bei schlechter Performance ohne Verluste aussteigen. Allerdings hält das europäische Gericht auch fest, dass sich die Versicherungen bei irreführender oder fehlender Belehrung nicht aus der Verantwortung nehmen können. In so einem Fall ist ein ewiger Rücktritt möglich.

Jedoch sind auch hier die Angaben der EU-Richter wieder unterscheidend: Es gibt keinen Anspruch auf ewigen Rücktritt, wenn der Versicherte Infos erhalten hat, die zwar nicht gesetzeskonform waren, die ihm aber keinen Nachteil bereitet haben. So verlangten die Versicherungen etwa oft einen schriftlichen Rücktritt, obwohl das Gesetz auch eine mündliche Kündigung erlaubte. Letztendlich ist die Schriftform aber sogar besser für den Konsumenten, weil er die fristgerechte Einreichung seines Rücktritts damit belegen kann. Mit dem Schriftform-Argument kamen die Konsumenten daher vor dem OGH nicht durch. (eml)