Nach vielen Jahren der Verkaufsrekorde und Preissteigerungen ist am Wiener Wohnungsmarkt nun Ernüchterung eingekehrt: Die Zahl der Verkäufe ging im ersten Halbjahr 2023 um rund ein Drittel sehr deutlich zurück, der Verkaufsumsatz verzeichnete einen Rückgang um 37 Prozent. Das geht aus der jüngsten Analyse von Otto Immobilien hervor. Bei Bauträgerwohnungen gingen die Verkäufe nach Recherchen des Unternehmens sogar um 49 Prozent zurück, bei Bestandswohnungen um elf Prozent. "Eine Marktsituation wie diese habe ich in den 40 Jahren meiner Berufstätigkeit nicht miterlebt", so Eugen Otto, Eigentümer und Geschäftsführer bei Otto Immobilien.

Bestandswohnungen verlieren an Wert
Keine guten Nachrichten gibt es auch für Eigentümer: Erstmals seit der Finanzkrise 2008 verlieren Bestandswohnungen an Wert, nämlich im Durchschnitt um ein Prozent, und liegen nun bei einem Quadratmeterpreis von durchschnittlich 4.594 Euro. Anders die Situation bei Neubauwohnungen im Erstbezug: Hier haben sich die Preise im ersten Halbjahr 2023 nur sehr geringfügig verändert. Derzeit liegt der Durchschnittspreis von verkauften Bauträgerwohnungen bei rund 7.369 Euro pro Quadratmeter, eine leichte Steigerung von 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In elf Bezirken wurden Erstbezugsneubauwohnungen allerdings erstmals im Durchschnitt billiger, berichtet Martin Denner, Abteilungsleiter Research: "In den Bezirken 3., 4., 5., 8., 9., 11., 13., 14., 15., 16., 18. gingen die Preise um rund 3,6 Prozent zurück."

Käufer und Verkäufer warten ab 
Der Wiener Wohnungsmarkt ist sowohl auf Käufer- als auch auf Verkäuferseite von einer stark abwartenden Haltung geprägt, so die Experten. "Auf Käuferseite haben die aktuell verschärften Kreditvergabe­vorschriften und das steigende Zinsniveau dazu geführt, dass für viele private Kaufwillige der Traum vom Eigenheim derzeit finanziell nicht mehr realisierbar ist. Viele warten daher die künftige Entwicklung des Immobilienmarkts ab oder weichen kurzfristig auf die Mietvariante als Zwischenlösung aus", berichtet Sonja Kaspar, Abteilungsleiterin Immobilienvermarktung Wohnen.

Auch die Mietpreise steigen nach Recherchen von Otto Immobilien: Für frei vermietbare Wohnungen, für die die gesetzlichen Mietobergrenzen nicht gelten, kostet ein Quadratmeter im Durchschnitt 14,41 Euro pro Monat (ohne Betriebskosten und Umsatzsteuer). Dies entspricht einem Plus von 0,7 Prozent zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Deutliche Steigerungen gab es allerdings in den Bezirken 2., 5., 6., 10.,14. und 22., wo frei vereinbarte Mieten bei Neuvermietung sogar um mehr als fünf Prozent gestiegen sind, heißt es weiter.

Bauträger setzen auf frei finanziertes Eigentum und Mietwohnungen 
Analysiert wurde auch die Situation bei den Bauträgern. Demnach ist der Hauptfokus der Bauträger klar: Knapp 66 Prozent der errichteten Wohnungen sind dieses Jahr frei finanzierte Eigentumswohnungen und Mietwohnungen. Knapp 20.000 Wohnungen wurden in diesem Jahr in Wien insgesamt neu errichtet, 2024 wird die Neubautätigkeit in der Bundeshauptstadt allerdings deutlich sinken. Im kommenden Jahr sollen lediglich 16.482 Wohnungen fertiggestellt werden, was einem Rückgang von 17 Prozent entspricht.

Villen und Häuser: Günstiger und seltener – aber keine Notverkäufe
Ähnlich zum Wohnungsmarkt ist die Situation bei Häuser und Villen. Die Verkäufe von Häusern und Villen in Wien sind ebenso wie die Kaufpreise und das Angebot an verfügbaren Objekten gesunken. Der mittlere Kaufpreis hat sich im Jahr 2023 klar nach unten entwickelt: "Der aktuelle Wert von 650.000 Euro entspricht einem deutlichen Rückgang von 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr", berichtet Denner. In fünf Wiener Bezirken, im 13., 14., 18., 22. und 23. Bezirk, gingen die Preise nach seinen Erhebungen sogar um rund zwölf Prozent zurück. Allerdings haben die manchmal nach der Corona-Krise prognostizierten Notverkäufe von Häusern und Villen bis dato nicht stattgefunden, so Kaspar. "Viele Private, die nicht verkaufen müssen, warten die derzeitige Entwicklung ab." (gp)