Kickback-Urteile. Das Landgericht München I hat den AWD zu Schadensersatz an einen Falk-Fonds-Anleger wegen verschwiegener Kickbacks verurteilt (Az: 22 O 1797/09). Damit bestätigt sich die weit verbreitete Auffassung, dass die Pflicht zu Offenlegung von Provisionen nicht nur für Banken, sondern auch für freie Berater gilt. Ob 15 Prozent oder weniger Provision gezahlt wurden, spielt dabei keine Rolle. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Auch das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 4. März 2010 einen freien Berater wegen verschwiegener Kickbacks zu Schadensersatz verurteilt. Das OLG Celle dagegen hatte die Haftung eines allgemeinen Anlageberaters mit der Begründung verneint, das Kickback-Urteil des BGH gelte nur für Bankberatung. Allerdings läuft hier noch die Revision beim BGH. Zur aktuellen Kickback-Rechtsprechung sprach das fondstelegramm mit den Rechtsanwälten Peter Mattil von der Kanzlei Mattil & Kollegen und Andreas Tilp von der Kanzlei Tilp Rechtsanwälte. Die beiden Kanzleien hatten die Urteile vor dem Landgericht München I und dem Oberlandesgericht Stuttgart erstritten.

fondstelegramm: Die BGH-Rechtsprechung zu Kickbacks hatte bislang nur die Banken explizit erwähnt. Genau darauf hatte sich das OLG Celle berufen, als es die Haftung eines freien Beraters verneinte. Ist für demnächst ein höchstrichterliches Urteil zu erwarten, mit dem klargestellt wird, dass letztendlich alle Berater betroffen sind?
Andreas Tilp: Das Urteil des OLG Stuttgart ist das erste obergerichtliche Urteil, das sich gegen die unzutreffende Auffassung des OLG Celle wendet. Wir rechnen noch im laufenden Jahr mit einer Revisionsentscheidung des Dritten Zivilsenats des BGH, mit der das OLG Celle korrigiert werden dürfte.
Peter Mattil: Es geht um den Interessenkonflikt und die Täuschung des Kunden. Die freien Vertriebe müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie ihre Provisionen nie deutlich kommuniziert, sondern versteckt und verschleiert haben, wenn sie kein schlechtes Gewissen hätten. Der Berater weiß doch, dass der Kunde die Stirn runzelt, wenn er die Höhe der gezahlten Provisionen erfährt.

fondstelegramm: Welche Rolle spielt die Höhe der Provisionen für die Offenlegungspflicht? Inwiefern ist hier zwischen Beratern und Vermittlern zu unterscheiden?
Peter Mattil: Im Urteil des Landgerichts München I heißt es, dass die Beraterin „12 bis 15 Prozent“ Provision erhielt. Die genaue Höhe war in dem Verfahren streitig. Daraus ist ersichtlich, dass es auf die 15-Prozent-Grenze nicht ankommt. Auch eine geringere Provision ist zu offenbaren. Vergleichen Sie einmal die bei geschlossenen Fonds üblichen Provisionen mit denen in anderen Marktbereichen. Ein Makler darf nicht mehr als drei Prozent berechnen, die Gebührenordnung für Rechtsanwälte bewegt sich in einem Rahmen von ein bis sieben Prozent, der Versicherungsvermittler träumt von mehr als fünf Prozent. Auch Provisionen von zwölf, zehn oder acht Prozent sind daher enorm, der Kunde kann damit nicht rechnen. Eine „Üblichkeit“ kann keine Rechtfertigung darstellen. Bei Vermittlern ist die Situation ein wenig anders: Der Bundesgerichtshof ist der Meinung, dass ein Vermittler den Kunden über unüblich hohe Provisionen aufklären muss. Diese Üblichkeitsgrenze wurde mit 15 Prozent angenommen. Mich persönlich überzeugt das aus den genannten Gründen nicht.
Andreas Tilp: Wurde ein Beratungsvertrag geschlossen, was sich in der Regel stillschweigend vollzieht, muss nach der Rechtsprechung des BGH über die exakte Höhe des Kickbacks aufgeklärt werden. Geht es dagegen um bloße Vermittlung außerhalb eines Beratungsvertrags, ist unseres Erachtens die Rechtslage höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Der zentrale Ansatzpunkt für eine Haftung war und ist nach fester Überzeugung unserer Kanzlei die Interessenwahrungspflicht aus der Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB). Auch bloße Vermittler schließen in aller Regel Geschäftsbesorgungsverträge, so dass nach unserer Meinung diese ebenfalls eine Aufklärungspflicht über Kickbacks haben, und zwar unabhängig von der konkreten Höhe.

fondstelegramm: Wie steht es um die Verjährung? Sprich: Welche Anleger können heute keine Ansprüche wegen Verletzung der Offenlegungspflicht geltend machen?
Peter Mattil: Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung, wozu auch die verschwiegenen Provisionen gehören, verjähren drei Jahre ab Kenntnis. Das heißt, dass die dreijährige Verjährung zu laufen beginnt, wenn der Anleger Kenntnis von der verschwiegenen Provision erlangt. Im Prinzip sind noch gar keine Fälle verjährt. Allerdings gibt es eine absolute Verjährung von zehn Jahren für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Entgegen eines kursierenden Rechtsirrtums beginnen diese zehn Jahre aber nicht mit dem Kauf der Beteiligung zu laufen, sondern am 1. Januar 2002 mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz. Das heißt, alte Fälle bis einschließlich 2001 könnten am 31. Dezember 2011 verjähren.
Andreas Tilp: Nach unserer festen Überzeugung sind die allermeisten Schadensfälle noch nicht verjährt. Generell sind hier zwei Gruppen von Kapitalanlagen zu unterscheiden: einerseits Finanzinstrumente, die dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) unterfallen, und andererseits alle sonstigen Anlagenformen. Nur für die WpHG-Anlageformen galt eine kurze dreijährige Verjährung für Käufe, die von April 1998 bis zum 5. August 2009 erworben wurden. Allerdings muss hier das Wertpapierdienstleistungsunternehmen darlegen und beweisen, ohne Vorsatz gehandelt zu haben, ansonsten gelten die längeren üblichen Verjährungsvorschriften. Für alle sonstigen Kapitalanlagen außerhalb des WpHG gilt die Regelverjährung nach dem BGB: Ansprüche verjähren spätestens zehn Jahre nach ihrer Entstehung.

fondstelegramm: Bekommen Anleger letztendlich einen Freibrief in die Hand, mit dem sie Fonds loswerden können, wenn sie unzufrieden sind?
Peter Mattil: So leicht geht es nicht. Der Berater kann behaupten und muss beweisen, dass der Anleger über die Provision informiert wurde oder dass der Anleger trotzdem gekauft hätte, also auch in Kenntnis der Provision. Dieser Beweis ist schwierig zu führen. Ein Freibrief ist dies schon deswegen nicht, weil kaum ein Anlageberater sich auf eine Schadensersatzleistung wegen des Provisionsthemas einlässt. Die Anleger werden also durch die Mühsal eines Zivilprozesses müssen.

fondstelegramm: Die Kickback-Urteile häufen sich. Ist nun, wo die Offenlegungspflicht explizit auch für freie Berater gilt, mit einer noch stärkeren Klagewelle in Sachen Kickbacks zu rechnen?
Andreas Tilp: Aus unserer Sicht gibt es keinen guten Grund für einen anspruchsberechtigten Anleger, seine Ansprüche nicht geltend zu machen. Der Schadensersatz steht ihm von Rechts wegen zu, daher rechnen wir mit einer Zunahme von Klagen, sollte es zu keiner außergerichtlichen Einigung kommen. Allerdings beobachten wir so langsam einen gewissen Trend zu solchen außergerichtlichen Einigungen.

fondstelegramm: Ist das Bewusstsein seitens der Berater nun geschärft, die Offenlegungspflicht hinreichend zu berücksichtigen?
Peter Mattil: Das Bewusstsein der Berater ist meiner Meinung nach nicht vorhanden. Ein Einsehen habe ich bislang nicht feststellen können. Eher wird man eine Lösung suchen, die Provisionen zu verschleiern oder schön zu reden. Den Anlegern sei doch „klar, dass eine Povision bezahlt wird“ und ähnliche Ausflüchte zeigen, dass sie den Wandel der Zeit nicht akzeptieren wollen. Wenn der Berater der Ansicht ist, dass seine Provision in Ordnung geht, kann er sie dem Kunden doch offenlegen. Uns ist ein Fall bekannt, in dem ein Beratungsunternehmen den Kunden darauf hinweist, dass es ein Prozent Provision bekomme. Kleingedruckt heißt es dann weiter: „pro Jahr“. Mit solchen Tricks tut sich die Branche keinen Gefallen und muss sich nicht wundern, wenn die Rechtsprechung immer schlimmer für sie wird.
Andreas Tilp: Berater wie Vermittler wissen nicht erst seit den Kickback-Urteilen von ihren Aufklärungspflichten, denn diese ergeben sich eigentlich schon seit Jahrzehnten aus dem Gesetz. Auch hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren, beispielsweise durch die Neuregelungen des Wertpapierhandelsgesetzes seit November 2007, zusätzliche ausdrückliche gesetzliche Regelungen erlassen. Gleichwohl verhalten sich weiterhin bei weitem nicht alle Finanzdienstleister rechtstreu, sondern begehen immer noch Gesetzesverstöße. Unserer Meinung nach ist die Branche selbst daran schuld, dass die Gerichte dies nicht dulden.

Vielen Dank für das Gespräch.