Regulierung. Ratingagenturen drohen bei Gesetzverstößen hohe Bußgelder. Die Bundesregierung hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Danach sollen Ratingagenturen bei Gesetzverstößen mit einem Bußgeld von bis zu einer Million Euro belegt werden können. Bußgelder drohen etwa, wenn eine Agentur ein Rating abgibt, obwohl ein Interessenkonflikt vorliegt. Wann entstehen Interessenskonflikte? Wie kann dem Missbrauch von Ratings Einhalt geboten werden? Was ist von einer staatlichen Ratingagentur zu halten? Das fondstelegramm sprach mit dem Ratingexperten Dr. Oliver Everling.

Welche Bedeutung haben Ratings für die Fondsbranche?
Oliver Everling: Ratings sind die künftigen Dreh- und Angelpunkte des Fondsmanagements und des Fondsvertriebs, daher für die gesamte Wertschöpfungskette vom Fondsanbieter bis zum Kunden relevant. Gute Noten sind nicht alles, aber eben Dokumentation des Erfolgs und Eintrittskarte für den erfolgreichen Vertrieb.

Inwiefern sind Ratings für die Branche sinnvoll?
Oliver Everling: Der einzelne Berater ist restlos überfordert, tausende Fondsprodukte sinnvoll miteinander zu vergleichen. Nur ein unabhängiges Urteil von Spezialisten hilft ihm, für seinen Kunden den Überblick zu bewahren. Für Fondsmanager wird ihr Fondsrating zunehmend zur Leistungsnote – wie in der Schule. So wie der Kunde Ratings der Fonds benötigt, braucht der Fondsmanager Ratings, um im Anlageuniversum interessante Offerten vorselektieren zu können.

Ratingnoten und kurze Ratingberichte werden gern den Vertrieben übergeben, die das Material ihrerseits ihren Kunden vertriebsunterstützend vorlegen sollen. Wie kann der Endkunde oder auch schon der Vertrieb erkennen, wie werthaltig das jeweilige Rating ist? Sprich: Ist der Grad der Abhängigkeit der Ratingagentur zur Vergabe positiver Ratings messbar?
Oliver Everling: Mangelnde Transparenz oder gar Bestechlichkeit werden nach dem Ausführungsgesetz der EU-Ratingverordnung bestraft. Das Gesetz listet erstmals mehr als 40 Ordnungswidrigkeiten auf, die auch den Agenturen für Fondsratings zu denken geben werden. Da Berater für mangelnde oder falsche Aufklärung über Ratings haften, ist es eine Frage der Zeit, bis genügend Anleger die neue Rechtslage nutzen und es den schwarzen Schafen schwer machen. Letztlich muss sich jedes Rating an der Evidenz messen lassen.

Es ist immer wieder festzustellen, dass die Ratingagenturen meist nur eine sehr schmale Bandbreite ihrer Ratingskala für ihre Noten nutzen, die sich natürlich stets auf die positiven Noten beschränkt. Damit einher geht ein erheblicher Verlust an Glaubwürdigkeit. Sehen Sie eine Chance, aus diesem Schema auszubrechen, um an Glaubwürdigkeit zu gewinnen?
Oliver Everling: Bei seriösen Ratingagenturen wie der Feri Euro Rating Services und anderen hagelt es auch schlechte Noten, nur dass diese eben nicht gern vom Vertrieb oder von den Produzenten preisgegeben werden. Schlechte Produkte erkennt man leider oft nur daran, dass sie kein Rating aufweisen beziehungsweise die Herabstufung nicht kommuniziert wird. Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter: Es liegt an Beratern und Anlegern, die richtigen Fragen zu stellen, nämlich die nach den erteilten Ratings.

Die Ratingbranche ist im Zuge der Marktverwerfungen erheblich in die Kritik geraten, weil sie als Warnsystem versagt hat. Welche methodischen Fehler sind der Branche vorzuwerfen?
Oliver Everling: Das Versagen von Standard & Poor’s und Moody’s Investors Service bei spezifischen, von der Subprimekrise betroffenen Finanzinstrumenten wird gern zu einer Generalschelte genutzt, und zwar insbesondere von denen, die selbst Täter waren: Banken, die einerseits als Emittenten im Eigeninteresse oder als Investmentbanker auf gute Ratings gedrängt und andererseits es sich als Investoren einfach gemacht haben, blind den Ratings von nur zwei US-amerikanischen Agenturen zu vertrauen. Die Fondsratingagenturen haben mit diesen Vorgängen gar nichts zu tun. Der methodische Fehler der US-Agenturen bestand insbesondere darin, sich durch zu enge Zusammenarbeit mit Investmentbanken und Emittenten auf kaum hinterfragte Annahmen und Berechnungen eingelassen zu haben.

Hat die Ratingbranche aus den Fehlern der Vergangenheit etwas gelernt?
Oliver Everling: Ja, den tiefgreifenden Wandel der Ratingbranche kann ich bezeugen. Schon bald wird eine Reihe von strukturellen Veränderungen bekannt werden, mit denen sich die Ratingagenturen neu aufstellen. Auch die US-Agenturen haben gelernt, dass sie nicht blind den Lehren amerikanischer Wissenschaftler und Investmentbanker vertrauen dürfen, die mit immer komplizierteren Modellen der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Grundlagen für toxische Wertpapiere aus strukturierten Finanzierungen schufen.

Rating und Beratung sind tunlichst zu trennen. In welchen Fällen sehen Sie dennoch eine Verquickung?
Oliver Everling: Die Ratinganalysten stecken in einem Dilemma: Einerseits wird ihnen Beratung vorgeworfen, andererseits mangelnde Aufklärung über angelegte Ratingkriterien, Stichwort „Blackbox“. Setzen die Agenturen Ratings einfach herunter, ohne darüber vorher mit den Betroffenen beraten zu haben, werden sie mindestens so scharf kritisiert wie in dem Fall, dass sie eingehend über die Bedingungen aufklären, unter denen sie gute Ratings erteilen, da sie dann der „Beratung“ bezichtigt werden.

Wie lassen sich Interessenskonflikte überhaupt vermeiden? Eine Ratingagentur will doch möglichst viele Aufträge bekommen, die bei guten Noten sicher eher zu haben sind als bei schlechten Noten.
Oliver Everling: Es gibt kein Geschäftsmodell für eine Ratingagentur, nicht einmal einer staatlichen, das frei von denkbaren Interessenkonflikten wäre. Es kommt darauf an, wie gut die Konflikte gemanagt werden. Insbesondere dann, wenn die Agentur einseitig nur von Emittenten oder nur von Anlegern bezahlt wird, kann es Interessenkollisionen geben. Daher sollten Ratingagenturen auf eine möglichst diversifizierte Ertragsbasis hinarbeiten, nämlich sowohl von Emittenten, als auch von Anlegern, im Prinzip also von allen Marktteilnehmern mit jeweils relativ kleinen Beiträgen bezahlt zu werden. So vermeidet man Erpressbarkeit durch einzelne Kunden und Auftraggeber.

Wann gilt ein Unternehmen überhaupt als Ratingagentur? Welche Kriterien muss es erfüllen?
Oliver Everling: Die EU-Verordnung definiert Ratingagenturen für den Fall, dass ihre Ratings für Zwecke nach EU-Recht eingesetzt werden, wie sie beispielsweise in Deutschland durch die Solvabilitätsverordnung umgesetzt sind. Die Bezeichnung „Ratingagentur“ ist noch nicht geschützt. Insbesondere Agenturen des Fondsratings, Versicherungsratings und Zertifikateratings kann jeder gründen.

Wie ist der Markt für Ratingagenturen aufgestellt? Letztendlich beherrschen doch nur wenige Unternehmen den Ratingmarkt. Wie lässt sich diese Struktur aufbrechen, um mehr Wettbewerb zu erreichen?
Oliver Everling: Der Markt für Ratingagenturen unterteilt sich in viele Segmente – nach Regionen, Branchen und Produkten. Nur die US-Agenturen sind in mehr als 100 Ländern der Welt tonangebend. Wie zum Beispiel japanische Ratingagenturen und Spezialisten wie die für Fondsratings oder für Versicherungsratings beweisen, lässt sich das US-Duopol aus den Nischen heraus attackieren. Bisher hielten sich Neugründungen und die Aufkäufe der US-Agenturen etwa die Waage, so dass sich durch die weggeschluckten Konkurrenten die Marktsituation trotz Neugründungen kaum änderte. Die Finanzkrise hat endlich auch die Politik auf den Plan gerufen, um das Problem anzugehen.

Einige Unternehmen vergeben vermeintliche Ratings offensichtlich nur als verkaufsförderndes Material, ohne dass auch nur ansatzweise eine Ernsthaftigkeit der Bewertung ersichtlich ist. Noch problematischer wird es, wenn diese Bewertungen in Magazinen neben Ratings ernstzunehmender Häuser stehen. Wie groß sehen sie den Schaden, den solche Unternehmen anrichten?
Oliver Everling: Am Prinzip der freien Meinungsäußerung darf nichts geändert werden, denn niemand verfügt über eine Kristallkugel. Entscheidend wird künftig die Grenzziehung zwischen anerkannten, beaufsichtigten Ratingagenturen einerseits und allen sonstigen Meinungsäußerungen andererseits sein.

Wie kann dem Missbrauch von Ratings Einhalt geboten werden?
Oliver Everling: Die Ratingagenturen sind gefordert, jedem Missbrauch entgegenzutreten – inzwischen sogar mit gesetzlichem Nachdruck. Standard & Poor’s beispielsweise setzte schon 2008 einen Katalog aus 27 Maßnahmen in den Kategorien Führung, Analyse, Information und Ausbildung um. Ein Verhaltenskodex ist aber auch von den Medien zu fordern, die oft der Versuchung verfallen, kurzerhand selbst Ratings aller Art zu verkünden.

Für wie sinnvoll halten Sie eine staatliche Regulierung des Ratingmarkts?
Oliver Everling: Da die Selbstregulierung versagte, bleibt nur die staatliche Regulierung. Ratingagenturen und ihre Analysten müssen sich künftig strenger an Spielregeln halten. Die gute Nachricht dabei: Mehr Regulierung im Rating gibt den Weg frei für Deregulierung in anderen Bereichen des Finanzsektors, denn viele Fesseln der Finanzdienstleistungsaufsicht sind nur deshalb notwendig, weil es an verlässlichen Ratings mangelt. Mehr Rating bedeutet also: Mehr Chancen für Finanzdienstleister und ihre Kunden.

Was halten Sie von der Gründung einer staatlichen Ratingagentur?
Oliver Everling: Definitiv gar nichts, wenn damit der Weg zum Staatsmonopolkapitalismus beschritten wird. Entscheidet allein der Staat, welches Unternehmen gut und welches schlecht ist, haben weder Verbraucher noch Anleger mehr etwas zu sagen. Ein staatliches Einheitsrating wäre der Weg in die Zentralverwaltungswirtschaft. Der Staat darf also nur die Funktion haben, den Wettbewerb unter Ratingagenturen anzukurbeln, so, wie es beispielsweise zwischen privaten und öffentlichen Banken geschieht.

Werden Ratings künftig an Bedeutung gewinnen?
Oliver Everling: Leider erwachsen oft erst aus Krisen die entscheidenden Impulse zur Veränderung. Während in der Vergangenheit Ratings in ihrer Bedeutung bagatellisiert und deshalb die Gefahren der systemischen Krise nicht erkannt wurden, sind heute Teilnehmer der Finanzmärkte alarmiert: Wer die Rolle von Ratings in der Krise versteht, verfügt über den Schlüssel zum Verständnis ihrer wachsenden Bedeutung in der Zukunft. Hoch entwickelte Volkswirtschaften machen zwangsläufig immer stärker von der Spezialisierung und den Vorteilen der Ratingagenturen wie ihren ökonomischen Skalen- und Erfahrungskurveneffekten Gebrauch.

Vielen Dank für das Gespräch.