Der BGH hat kurz hintereinander zwei Urteile gefällt (III ZR 109/17 und III ZR 498/16), die im Hinblick auf die Frage interessant sind, wie viel Aufwand ein Anleger bei der Lektüre der Prospekte betreiben muss.

In beiden Fällen haben Anleger gescheiterter Schiffsfonds ihre Berater verklagt, sie hätten sie falsch beraten. Beide räumen jedoch ein, den Prospekt nicht gelesen zu haben. Der eine sagte, er sei in den Tagen vor der Zeichnung "derart beruflich eingespannt" gewesen, dass ihm "Zeit und Ruhe" gefehlt hätte, sich mit dem Prospekt zu beschäftigen. Der andere weigerte sich explizit, sich mit dem „Papierkram“ zu befassen, der Prospekt sei „zu dick und zu schwer“.

Interessanterweise haben beide Anleger vom BGH den Rücken gestärkt bekommen, indem er die Vorinstanzen zum Nachbessern aufgefordert hat. Bei den Begründungen unterscheiden sich die Urteile dann aber doch. Der erste Anleger machte nämlich geltend, dass er mit seiner Bestätigung, den Prospekt empfangen zu haben, zugleich auch bestätigen sollte, seinen Inhalt zur Kenntnis genommen zu haben. Diese Verquickung verschlechtert die Beweisposition des Anlegers, weshalb die Erklärung nichtig ist, sagt der BGH. Beim zweiten Anleger sagte Deutschlands oberstes Gericht, dass allein der erklärte Leseunwille nicht schon die Beratungspflicht enden lässt, nicht lesen zu wollen heiße nicht, nicht beraten werden zu wollen.

Klar, das sind beides Einzelfälle und entsprechend kaum übertragbar. Aber Zeichnungsunterlagen werden künftig wahrscheinlich isolierte Formulare für die Bestätigung des Erhalts des Prospekts und die Bestätigung der Kenntnisnahme dessen Inhalts aufweisen. Und in Verbindung mit der Auflage, Beratungsgespräche künftig mitschneiden und archivieren zu müssen, wird dem mündlichen Beratungsgespräch jenseits der Prospektlektüre ohnehin eine ganz andere Bedeutung zukommen.

Damit ist der Prospekt zwar nicht überflüssig geworden, aber in seiner alleinigen Maßgeblichkeit doch ein wenig relativiert. Die beiden Urteile werden im Zweifel die Anlegerberatung besser und nicht schlechter machen. Man behalte jedoch im Hinterkopf, dass es die fünf selben Richter waren, die die beiden Urteile fällten.

Eine gute Woche wünscht
Tilman Welther