Der Wertpapierbesitzer als reicher Zocker, dessen Ambitionen man – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – nicht weiter beflügeln sollte. Dieses Bild zeichnen politisch Verantwortliche besonders gern dann, wenn die komplexe Diskussion über die individuelle Finanzvorsorge vom Tisch gewischt werden soll. So auch die Grüne Finanzsprecherin Nina Tomaselli. Auf eine umfassende redaktionelle Anfrage zu der im Regierungsprogramm versprochenen Behaltefrist für die Kapitalertragsteuerbefreiung (KESt) beziehungsweise zu den im Raum stehenden KESt-freien Vorsorgedepots reagierte sie knapp und abwehrend: "Nur zehn Prozent der ÖsterreicherInnen halten Aktien, diese Personen gehören in der Regel zu den Reichsten." Man wolle lieber Krisen bewältigen und dabei auf Personen schauen, die von der Inflation besonders betroffen sind.

Eine neue Studie der Arbeiterkammer Wien (AK) zur Wertpapierveranlagung der Österreicher zeigt nun, dass die Bürger den Regierenden bei dem Thema um einige Schritte vorauseilen: Zwar dominieren, wie man vermuten kann, die klassischen Sparbuchsparer. Jedoch hatten weit mehr Leute, als die Grüne Finanzsprecherin vermutet, Veranlagungsbedürfnisse. Und die Anleger verfolgen dabei in erster Linie Ziele, die durchaus für eine breite Masse interessant wären, also für all jene, die vermögensmäßig eben nicht zu den "oberen zehn Prozent" gehören: Langfristiger Vermögensaufbau, Auswege aus der Geldvernichtung am Sparbuch und Pensionsvorsorge stehen im Vordergrund.

Fonds, Aktien, Polizzen
Gut ein Fünftel (21 Prozent) der Österreicher sagen laut der von der AK bei Makam Research in Auftrag gegebenen Umfrage, sie besitzen derzeit einen Investmentfonds. 18 Prozent haben momentan Aktien, während 14 Prozent angeben, Inhaber einer Fondspolizze zu sein. Anleihen genießen mit sechs Prozent derzeit weniger Bedeutung. Mehrfachnennungen waren möglich. Aktien sind insbesondere bei Jüngeren beliebt – ein Fünftel der 20- bis 29-Jährigen und 23 Prozent der 30- bis 39-Jährigen besitzen Anteilsscheine an einem Unternehmen. 

Insgesamt gibt ein knappes Drittel (30 Prozent) der Befragten an, schon einmal ein Wertpapier gekauft zu haben. Drei Viertel davon haben auf Investmentfonds (40 Prozent) oder Aktien (35 Prozent) gesetzt. Der mit Abstand am häufigsten genannte Zweck ist die langfristige Geldanlage (49 Prozent). Danach kommt bereits das Ziel, einen höheren Ertrag als bei einem Sparbuch zu erzielen (34 Prozent). Jeder Fünfte verfolgt mit Wertpapieren die Pensions-, Altersvorsorge. Kurzfristige Veranlagungen (13 Prozent) und Spekulation (zwölf Prozent) betreiben nur die wenigsten. Dabei zeigt sich: Je höher der Bildungsabschluss, desto eher werden Wertpapiere als langfristige Geldanlage angesehen.

Hohe Zufriedenheit
Die Zufriedenheit mit den Investments ist hoch. Fast drei Viertel (72 Prozent) der Wertpapierbesitzer betrachten ihre Erwartungen als übertroffen, erfüllt oder teilweise erfüllt. Nur 19 Prozent sagen, dass ihre Erwartungen nicht ausreichend erfüllt oder komplett enttäuscht wurden. Zu bedenken ist bei diesem sehr positiven Ergebnis, dass in der Befragung die Zufriedenheit über die vergangenen zwei bis drei Jahre abgefragt wurde und damit eine Phase, in der die Aktienbörsen boomten.

Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch, dass beim Thema Finanzen der Sicherheitsgedanke dominiert. Den höchsten Stellenwert genießen weiterhin wenig renditeträchtige Veranlagungsformen, bei denen es (abseits der Vermögensminderung durch Inflation) kaum Gefahren gibt: Sparkonten (43 Prozent) oder -bücher (42 Prozent) sowie Bausparverträge (38 Prozent) nehmen den wichtigsten Stellenwert ein. Rund jeder zehnte Österreicher besitzt keine Spar- beziehungsweise Anlageform.

Substanz-, ertrags- oder chancenorientiert
Rund zwei Drittel der Österreicher (68 Prozent) gelten laut Studie als substanzorientiert; sie legen hohen Wert auf Sicherheit, Erträge sind nachrangig. Im Vordergrund steht das Ziel, Erspartes zu erhalten. Dabei werde in Kauf genommen, dass es keinen oder einen geringen Zuwachs gibt, schreiben die Studienautoren.

Für Ertragsorientierte (26 Prozent der Befragten) spielt Sicherheit zwar eine Rolle, aber für die Chance auf höhere Erträge nehmen sie auch das Risiko in Kauf, dass das Geld weniger wert werden könnte. Nur verschwindende vier Prozent werden wirklich rein chancenorientiert eingestuft. Für sie ist die Möglichkeit hoher Erträge am wichtigsten, wofür hohe Risiken in Kauf genommen werden.

Wo gekauft wird
Trotz aller Onlinemöglichkeiten ist für die Österreicher beim Wertpapierkauf weiter die Beratung wichtig. Die meisten, nämlich 43 Prozent der Österreicher, kaufen Wertpapiere beim persönlichen Berater über die Hausbank, 13 Prozent agieren selbstständig und kaufen über das Onlinebanking der Hausbank. Ein Fünftel erwirbt Wertpapiere über den Onlinebroker oder eine Investment-App. Zwölf Prozent sagen, sie agieren über selbstständige Vermögensberater.  

Ein interessantes Ergebnis liefern hier die Jungen: Zwar ist es wenig überraschend, dass die 20- bis 29-Jährigen Wertpapiere am liebsten eigenständig via Internet kaufen, während bei ihnen die Hausbank unter allen Altersgruppen die geringste Rolle spielt (26 Prozent). Auffallend ist aber, dass sie überdurchschnittlich oft über selbstständige Vermögensberater (15 Prozent) Wertpapiere erwerben. Einen Versicherungsvermittler konsultieren acht Prozent, was ein doppelt so hoher Wert ist wie in der Gesamtbevölkerung. (eml)


Für die Studie wurden 1.000 Personen durch das Institut Makam Research befragt – je zur Hälfte Frauen und Männer. Es dominierten mit 67 Prozent Absolventen von Pflichtschule, Lehre oder berufsbildender mittlerer Schule. 16 Prozent der Befragten hatten einen Kollegabschluss oder waren Absolventen einer Akademie oder Universität. Die Untersuchung kann auf der Seite der AK heruntergeladen werden (externer Link).