Die Diskussion über nachhaltige Anlagestrategien hat im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA an Intensität gewonnen und eine polarisierende Debatte ausgelöst, sagen Daniel Sailer und Philipp Finter vom Sustainable Investment Office bei Metzler Asset Management in Frankfurt. "Dass das Thema ESG zum Politikum werden konnte, hat viel mit dem Kulturkampf in den USA und der tiefen politischen Spaltung des Landes zu tun", erläutern die beiden Nachhaltigkeitsexperten. Vor allem konservative Vertreter der republikanischen Partei hätten ESG zum neuen Feindbild erklärt und argumentierten, ESG-Investitionen seien mehr politisch motiviert als renditeorientiert und würden die freie Marktwirtschaft untergraben. Einige republikanisch geführte US-Bundesstaaten haben deshalb zuletzt Anti-ESG-Gesetze erlassen und sich medienwirksam von Geldanlagen getrennt, die sich an Nachhaltigkeitsprinzipien orientieren.

"In Europa verläuft die politische Debatte im Vergleich zu den USA tendenziell weniger polarisierend und ideologisch aufgeladen", stellen Sailer und Finter fest. Die überwiegende Mehrheit des politischen Spektrums stelle die Sinnhaftigkeit von ESG-Investitionen und die systematische Integration von Nachhaltigkeitsüberlegungen ins Finanzsystem nicht grundsätzlich infrage. "Daran dürfte auch der Ausgang der EU-Parlamentswahlen im Juni nichts Substanzielles ändern", meinen die Metzler-AM-Strategen. Denn im Vergleich zu den USA seien die europäischen Regulierungs- und Aufsichtsbehörden in ihren Bemühungen weit fortgeschritten, einen konsistenten und transparenten regulatorischen Rahmen für die Umsetzung von ESG-Investitionen zu schaffen. Dieser biete einen gewissen Schutz gegen eine polarisierte Debatte, wie sie in den USA stattfindet.

"Viele ESG-Themen mit durchwachsener Performance"
"Die Kritik an der Berücksichtigung von ESG-Informationen im Investmentprozess dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass viele prominente ESG-Themen in den vergangenen Jahren tendenziell eine unterdurchschnittliche Performance aufwiesen", erläutern Sailer und Finter. Besser als ihre Vergleichsindizes hätten sich Sektoren mit kontroversen Geschäftsaktivitäten entwickelt, die üblicherweise nicht zu den Favoriten von ESG-Fonds zählen. So profitierten Unternehmen des Energie- und Rüstungssektors von globalen Rahmenbedingungen wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und hohen Energiepreisen. Auf den Anstieg der Inflation reagierten Zentralbanken weltweit mit kräftigen Zinserhöhungen. "Für viele Unternehmen mit dezidiert nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen wirkten sich diese Faktoren belastend aus", so die Experten.

Ein Fehlschluss wäre es ihrer Ansicht nach aber, die jüngste schlechte Wertentwicklung einiger nachhaltiger Investments zum Anlass zu nehmen, um die Sinnhaftigkeit von ESG im Anlageprozess gänzlich infrage zu stellen. ESG-Informationen sollten vielmehr als komplementäre Faktoren betrachtet werden, deren Integration in die Analyse parallel zu finanziellen Kriterien ökonomisch sinnvoll sei – beispielsweise um die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen besser beurteilen zu können. Damit werde es wahrscheinlicher, das Rendite-Risiko-Profil von Portfolios durch aktive Entscheidungen zu verbessern.

"ESG-Risiken sind zu groß, um sie als Investor zu ignorieren"
Dass das Risikoumfeld für Unternehmen auch in Zukunft herausfordernd sein könne, darauf weise der Risikobericht des Weltwirtschaftsforums hin. Unter den Toprisiken auf Sicht der kommenden zehn Jahre dominierten einmal mehr die Nachhaltigkeitsrisiken: vier aus dem Umweltbereich mit "Extremwetter", "Veränderung der Erdsysteme", "Biodiversitätsverlust" und "Ressourcenknappheit"; zudem das Risiko "Fehl- und Desinformation" aus dem sozialen Bereich. Der historische Vergleich zeige, wie sehr sich die Risikoeinschätzung in den vergangenen 15 Jahren geändert habe, so Sailer und Finter: "Damals lag der Fokus auf geopolitischen und wirtschaftlichen Risiken, heute sind es die ESG-Risiken, die zu groß sind, als dass man sie als Unternehmen oder Investor ignorieren sollte."

Gleichzeitig gelte es, die Chancen nicht aus den Augen zu verlieren. Denn Unternehmen, die in saubere Technologien, soziale Innovationen oder effektive Governance-Modelle investierten, würden oft neue Märkte eröffnen und Wettbewerbsvorteile schaffen, die zu überdurchschnittlichem Wachstum führen könnten. "ESG-Megatrends wie die globale Dekarbonisierung oder die alternde Bevölkerung erfordern massive Investitionen, können aber auch zu neuen Anlagechancen führen bei Unternehmen, die sich ambitionierte Ziele setzen, ihre Geschäftsmodelle anpassen und über ein zukunftsfähiges Produktportfolio verfügen", erläutern die Investmentprofis.

"Keine Lösung für eine nachhaltige Zukunft"
Die kontroverse US-Diskussion um nachhaltige Anlagestrategien dürfte zwar in Teilen dem Präsidentschaftswahlkampf geschuldet sein. Dennoch sei die Debatte ernst zu nehmen, denn wenn sich die Fundamentalkritik durchsetze, wäre das Ziel gefährdet, das dringend benötigte private Kapital für die Transformation der Wirtschaft zu mobilisieren, meinen Sailer und Finter. "Gleichzeitig führt uns die Debatte vor Augen, welche Gefahren von einer Transformationspolitik ausgehen können, die den Rückhalt von weiten Teilen der Bevölkerung verliert." Unternehmen und Investoren, deren Interessen im Erhalt und Wachstum von Vermögenswerten liegen, dürfte die Debatte mehrheitlich befremden, meinen sie: "ESG-Risiken und -Chancen gilt es zu erkennen und zu managen, sie im Zuge einer politischen Entscheidung zu ignorieren, kann keine Lösung für eine nachhaltige Zukunft sein." (fp)