Beim Financial Forum des Finanz-Marketing Verband Österreich (FMVÖ) drehten sich Ende Jänner alles um die multiplen Krisen, denen die Finanz- und Realwirtschaft nun bereits über einen längeren Zeitraum ausgesetzt ist. Die Experten aus Wirtschaftsforschung und Finanzwirtschaft – Andrea Stürmer (Zurich Österreich), Helmut Bernkopf (OeKB), Gabriel Felbermayr (WIFO) und Martin Schulz (Fujitsu) – widmeten sich der Frage, wie sich Pandemie, Krieg und Energiekrise sowohl auf die Supply Chain, die Inflation als auch auf die Finanz- und Realwirtschaft auswirken. Dabei wurde auch ein Vergleich zwischen heimischer, europäischer und globaler Wirtschaft gezogen. Moderiert wurde die Veranstaltung in Kooperation mit Fujitsu und EFS Consulting von Christian Schaupp, Geschäftsführer EFS Consulting. 

Nach der Begrüßung durch FMVÖ-Präsident Erich Mayer eröffnete WIFO Direktor Gabriel Felbermayr die Veranstaltung mit einem Rundum-Blick auf die europäische und österreichische Wirtschaftsentwicklung. Er konstatierte, dass sich das heimische Wirtschaftssystem in einem schwierigen Umfeld gut gehalten habe und ging dabei unter anderem auf Aspekte wie Gasimporte, Preisentwicklung der Industrierohstoffe, Inflationsentwicklung und Lieferkettenproblematik ein.

"Die große Rezession scheint abgesagt"
Nachhaltige Schwierigkeiten werde der zunehmende Mangel an Arbeitskräften bereiten. Und auch jahrealte Probleme wie die Energiepreise und höhere Importpreise, denen niedrigere Exportpreise gegenüberstehen, würden sich nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken. „Die große Rezession scheint abgesagt, aber in Europa verfestigen sich, angetrieben durch hohe Energiepreise und die demografische Entwicklung, stagflationäre Tendenzen: niedriges Wachstum, hohe Preisdynamik", sagte Felbermayr. Am Ende schaffe nur ein Angebotsausbau durch Investitionen Abhilfe. "Doch dafür braucht es verlässliche politische Rahmenbedingungen und ein hohes Ausmaß an Pragmatismus. Dies sind auch die zentralen Voraussetzungen dafür, dass die grüne Transformation ein industriepolitischer Erfolg werden kann“, betonte Felbermayr.

Martin Schulz, Global Chief Economist Fujitsu, der live aus Tokio zugeschaltet war, verglich in seinem Vortrag "Multiple Krisen wie noch nie – wie kann die Erholung aussehen?" die Situation im asiatischen, europäischen und US-amerikanischen Raum: Der Blick aus Asien eröffnet interessante Perspektiven auf die Erholung nach den gegenwärtigen Krisen. Die Korrektur an den Kapitalmärkten scheint weitgehend abgeschlossen, auch wenn die Bewertungen insbesondere in den USA hoch bleiben. "Vor dem Hintergrund hochverschuldeter öffentlicher Haushalte werden die Zentralbanken Inflation zwar weiter bekämpfen, aber kaum eine größere Rezession riskieren. Statt sich zu 'entschulden', setzen Regierungen daher weltweit auf eine neue 'Angebotspolitik' der 'nachhaltigen'  Infrastrukturentwicklung", erläuterte der Experte. 

Globale Ungleichgewichte können Chance sein
Die Finanzbranche wird laut Schulz daher auch in Zukunft in einem Umfeld niedriger Renditen nachhaltige und produktive Anlagemöglichkeiten jenseits des Booms beim "Betongold" entwickeln müssen. Dabei können die weiter bestehenden globalen Ungleichgewichte eine Chance darstellen. Die Flucht in den Dollar hat zu einer starken Kapitalkonzentration in den USA und einer Unterbewertung in Asien geführt: "Nie war der Dollar 'real' so teuer oder der Yen so billig. In ganz Asien müssen sich wegen der US-China-Technologiekonfrontation ganze Liefer- und Werteketten neu erfinden. Dies treibt die regionale Integration voran und bietet Chancen für Unternehmen, die sich den Herausforderungen einer deutlich digitaleren Globalisierung stellen", so die Conclusio von Schulz.

Zur Eröffnung der Diskussionsrunde stellte Moderator Christian Schaupp die Frage, welche Risiken schlagend geworden sind, und ob man aufgrund der Freude darüber, dass wir resilient waren, auf die anderen Risken vergessen würde, die im Hintergrund lauern können. Andrea Stürmer, Vorstandsvorsitzende Zürich, zeichnete vor diesem Hintergrund auch ein differenziertes Bild von der Realwirtschaft: "Die Risikolandschaft ist mit Themen wie Energiekrise, Inflation, Lieferketten und Cyber-Risiken für Unternehmen aktuell äußerst herausfordernd", sagt sie. "Die akuten Krisen drohen aber die mittelfristig dramatischsten Risiken in den Hintergrund zu drängen. Denn das nächste Jahrzehnt wird von den Auswirkungen des Klimawandels mit vielfältigen Auswirkungen auf Menschen, Gesellschaft und Unternehmen geprägt sein."

"Die heimische Exportwirtschaft hat schon viele Krisen überwunden"
Helmut Bernkopf, der im OeKB-Vorstand für den Bereich Export Services zuständig ist, zeigte sich hingegen zuversichtlich auf die Frage, ob Österreich als kleines Land, das stark vom Export abhängig ist, über genug Instrumente verfüge, um den zahlreichen Herausforderungen entgegenhalten zu können: "Die heimische Exportwirtschaft hat schon viele Krisen überwunden und war auch im sehr herausfordernden Jahr 2022 erfolgreich", erklärte er. "Ich bin überzeugt, dass Österreichs Exportunternehmen aufgrund ihrer hohen Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft auch in Zukunft im globalen Wettbewerb reüssieren werden."

Die Exportwirtschaft sei das Rückgrat der österreichischen Volkswirtschaft, ein Ende des Freihandels und der Globalisierung ist daher keine Option, so Bernkopf. "Im Gegenteil – es braucht mehr internationale Zusammenarbeit, um die großen Herausforderungen zu meistern", sagte er.

Wirtschaft neu denken
Einig zeigten sich die Experten am Ende der Diskussion darüber, dass sich durch den Klimawandel und den damit verbundenen Auswirkungen Unternehmen und Branchen, die sich nicht rechtzeitig dagegen rüsten, mit großen Problemen konfrontiert sehen werden. Wirtschaft müsse neu gedacht werden, denn an die Stelle von Effizienz werden Resilienz und Anpassungsfähigkeit treten.

Eine Großkrise durch Ernteausfälle sei nicht auszuschließen und werde auch Auswirkungen auf den österreichischen Markt haben. Agieren statt reagieren sei daher das Gebot der Stunde, dafür gebe es sowohl die benötigten Technologien als auch Finanzierungsmöglichkeiten. Allerdings müsse sich Europa für den weltweiten Wirtschaftskrieg besser rüsten, um sich gegen Zwangsmaßnahmen von außen wehren zu können. Mögliche Maßnahmen sind eine einheitliche europäische Exportkontrolle und ein europäisches Selbstbewusstsein, um sich die eigene Wirtschaftspolitik nicht von außen diktieren zu lassen. (gp)