Auch wenn Klimaforscher, Kapitalmarktexperten oder Notenbanken es versuchen: Das Unbekannte lässt sich mit mathematischen Modellen nicht berechnen und absichern. Dieser Überzeugung ist Thomas Mayer, Gründungsdirektor und Leiter des Flossbach von Storch Research Institutes in Köln. In seinem Buch "Die Vermessung des Unbekannten", das Mitte des Jahres erschienen ist, hat er seine Auffassung anhand zahlreicher Beispiele dargelegt und begründet.

Im Gespräch mit FONDS professionell geht Mayer auch mit dem europäischen Gesetzgeber und dem EU-Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen hart ins Gericht. "Der Klimawandel ist eine sehr komplexe Sache, er wird von naturwissenschaftlichen und von sozialen Prozessen verursacht", erklärt er. Das Problem im Umgang mit diesem Thema sieht er darin, dass die Komplexität auf einfache mathematische Modelle reduziert werde. Daraus aber seien nur mögliche Szenarien und keine echte Prognose abzuleiten. "Ich denke, es ist vermessen – eine Anmaßung von Wissen – zu glauben, man könne die Erderwärmung präzise vorhersagen und dann darauf Einfluss nehmen, so wie mit dem Thermostat einer Heizung auf die Wärme im Haus", sagt Mayer.

ESG-Bastelrezept
Auch der EU-Taxonomieverordnung kann er nicht viel abgewinnen. "Mit der Taxonomie will ein Regulierer dem Anleger oder dem Analysten eine bestimmte Beurteilung aufdrängen. Das eigene Denken soll aus- und das der Marktteilnehmer gleichgeschaltet werden", konstatiert Mayer. Der Fondsbranche eröffne dies neue Einnahmequellen. "Man bastelt Portfolios zusammen, die sich an oberflächlich ausgelegten 'ESG-Kriterien' orientieren, und verkauft sie dem Kunden zu einem Aufpreis", sagt er. Die Methode erinnere an die berüchtigten Collateralized Debt Obligations, die eine wesentliche Rolle in der Finanzkrise gespielt haben. "Der Unterschied ist allerdings, dass der Staat der Fondsbranche das Rezept zum Zusammenbasteln diesmal frei Haus liefert", findet der Leiter des Kölner Research-Hauses.

ETFs sind für Mayer eine "gute Methode zum Trittbrettfahren". "Daran ist auch nichts Verwerfliches. Man profitiert davon, dass sich noch immer genügend Leute die Mühe machen, Unternehmen zu analysieren", erklärt er. Allerdings sieht Mayer das Ende der Fahrt gekommen, wenn sich niemand mehr eben diese Mühe macht. "Wenn die Straßenbahn, auf deren Trittbrett man steht, zum Halten kommt, weil sie keiner mehr antreibt, lohnt es sich wieder, die Titel sorgfältig auszuwählen, die man ins Portfolio nimmt", sagt er.

Unrealistische Modelle
An der Geld- und Zinspolitik der Notenbanken stört sich Mayer, weil die Zentralbanker nach seiner Auffassung unrealistische Modelle nutzen, um künftige Entwicklungen zu prognostizieren. "Schauen Sie sich das Neukeynesianische Modell an, auf das sich die Notenbanken für ihre Geldpolitik berufen. Dort kommen Banken überhaupt nicht vor, und es wird nicht erklärt, wie Geld über die Kreditvergabe der Institute erzeugt wird", sagt er. 

Hinzu komme, dass die für dieses Modell elementaren Beziehungen zwischen Wirtschaftsgrößen über die Zeit nicht stabil sind. "In meinem Buch zeige ich, wie sich die Phillips-Kurve, der Zusammenhang zwischen gesamtwirtschaftlicher Kapazitätsauslastung und Inflation, seit der Finanzkrise aufgelöst hat", sagt Mayer. Dennoch agierten die Notenbanken weiterhin so, als ob es sie noch gäbe. Und er findet weitere klare Worte: "Ich kritisiere zudem, dass in der Geldpolitik niemand für Fehlentscheidungen eintreten muss." (am)


Das vollständige Interview mit Thomas Mayer finden Sie in der aktuellen Heftausgabe 4/2021 von FONDS professionell ab Seite 104. Angemeldete Nutzer können den Beitrag auch hier im E-Magazin lesen.