Laut einer Studie von Ernst & Young hat ein Drittel der Finanzdienstleister mit Hauptsitz in der Schweiz mindestens einen Verwaltungsrat mit Minister- oder Parlamentserfahrung. In Frankreich liegt der Anteil bei 30 Prozent – und damit weit höher als in Deutschland (14%), Italien (14%) und Großbritannien (11%), wie der "European Financial Services Boardroom Monitor" von EY zeigt. Er beobachtet die Zusammensetzung der Verwaltungs- und Aufsichtsräte der Unternehmen im MSCI-Europe-Finanzindex. 

"In jedem europäischen Land gibt es Verbindungen zwischen den Finanzeliten, wenn nicht sogar in jedem Land der Welt", sagt Nicolas Véron, Senior Fellow beim belgischen Think Tank Bruegel. Der Trend in Frankreich verdeutliche "die schwache Grenze zwischen den Eliten in Politik und Finanzwirtschaft", die in Bezug auf ihren Bildungsweg und Werdegang oft eine "gemeinsame Herkunft" teilten.

"Drehtür-Phänomen"
Der wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments warnte unlängst in einer Studie, das sogenannte "Drehtür-Phänomen" könne "das demokratische Gefüge der Gesellschaft schädigen", wenn der Wechsel zwischen den beiden Bereichen nicht genau geregelt wird.

Der ehemalige portugiesische Premierminister José Manuel Barroso war Gegenstand einer Ethikprüfung durch die Europäische Kommission, als er weniger als zwei Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit als Präsident der Europäischen Kommission im Jahr 2014 im internationalen Geschäft von Goldman Sachs eine Position als Berater und Non-Executive Chairman annahm. Letztlich stellte die Untersuchung keinerlei Konflikte fest. 

Obwohl Barroso kein Boardmitglied war, schärfte die Untersuchung das Bewusstsein für die Gefahren, die mit dem Wechsel von Spitzenpolitikern zu Banken einhergehen können. In den vergangenen zwölf Monaten hat laut EY kein europäisches Unternehmen einen Verwaltungsrat mit Minister- oder Parlamentserfahrung eingestellt.

Der ehemalige britische Premier Tony Blair erhielt als Berater von JP Morgan einen mit rund 2,4 Millionen Euro dotierten Jahresvertrag, der weniger als ein Jahr nach seinem Rücktritt als Regierungschef unterzeichnet wurde. Großbritanniens ehemaliger Außenminister William Hague kam 2017 als Berater auf die Gehaltsliste der Citigroup, als die Wall Street sich auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union vorbereitete. Citi holte auch den ehemaligen Chef der Bank of England, Mervyn King, als Berater an Bord. 

Erfahrungsschatz von Ex-Notenbankern "von unschätzbarem Wert"
Die Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Inflation und der Fokus auf die Geldpolitik hätten die Nachfrage nach Erfahrung aus dem Zentralbankbereich erhöht, erklärt Omar Ali von EY Global Financial Services. "Für Unternehmen, die Kapitalquoten, große Verbindlichkeiten, Bilanzrisiken und Investitionsstrategien in der globalen Wirtschaft im Griff haben müssen, kann der Erfahrungsschatz, den ehemalige Entscheidungsträger von Zentralbanken einbringen, von unschätzbarem Wert sein", so Ali. (mb/Bloomberg)