Ingo Speich gehörte zu den ersten in Deutschland, die von Großkonzernen öffentlichkeitswirksam auf Hauptversammlungen mehr Nachhaltigkeit einforderten – viele Jahre für Union Investment, mittlerweile für Deka Investment, wo er seit April 2019 den Bereich "Nachhaltigkeit und Corporate Governance" leitet. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE erläutert er, warum sein Haus manche Aktionärsanträge zu Umwelt- oder Klimafragen ablehnt – und ob die Asset Manager mit ihren Stimmrechten tatsächlich etwas bewegen können.


Herr Speich, viele Asset Manager schreiben sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen. Auf Hauptversammlungen stimmen sie dennoch häufig gegen Anträge, die den Unternehmen mehr Umwelt- oder Klimaschutz abverlangen würden. Nichtregierungsorganisationen wie "Share Action" kritisieren außerdem, dass große Häuser wie Ihres oft gar nicht von ihren Stimmrechten Gebrauch machen. Warum?

Ingo Speich: Wir gehören zu den Anbietern, die wohl auf den meisten Hauptversammlungen in Deutschland ihre Stimme abgeben. Wir sind aber nicht auf jedem Annual General Meeting eines amerikanischen Mid-Caps dabei, das stimmt. Der Aufwand stünde nicht im Verhältnis zu unseren jeweiligen Beteiligungen, die in aller Regel eher gering sind.

Ist das der Grund, warum die Deka beim jüngsten "Share Action"-Report so schlecht abgeschnitten hat? Da landete Ihr Haus von 65 analysierten Asset Managern auf dem 62. Platz.

Speich: Dieses Bild ist sicherlich verzerrt, weil wir bei vielen Unternehmen, zu denen die Aktionärsanträge untersucht wurden, gar nicht oder nicht signifikant investiert sind. In vielen Fällen hätten wir also gar nicht abstimmen können, selbst wenn wir das gewollt hätten.

Es gab aber auch Aktionärsanträge zu Nachhaltigkeitsfragen, die die Deka explizit abgelehnt hat.

Speich: Wir haben eine "Proxy Voting Policy" erarbeitet, ein Regelwerk, das einen Rahmen gibt, wie wir mit Aktionärsanträgen umgehen. Wichtig ist hierbei die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antrag, also die Frage, ob das verfolgte Ziel tatsächlich sinnvoll ist. Wenn eine Umweltorganisation von einem Energieversorger verlangt, von heute auf morgen alle Kohlekraftwerke abzuschalten, ist das aus ihrer Sicht sicherlich die richtige Forderung. Wir sind aber Aktionäre, keine Umweltaktivisten. Für uns muss sich eine Änderung des Geschäftsmodells langfristig für die Unternehmung und damit für die Aktionäre auszahlen. Die Dekarbonisierung ist alternativlos, wir unterstützen entsprechende Initiativen nach Kräften. Dieser Umbau muss aber behutsam erfolgen, sonst werden nicht nur Firmenwerte vernichtet, sondern auch Arbeitsplätze – und zum nachhaltigen Investieren gehört auch, auf soziale Aspekte zu achten. Es gibt außerdem weitere Gründe, warum wir gegen manchen Aktionärsantrag stimmen, der sich aus ESG-Perspektive zunächst sinnvoll anhören mag.

Und zwar?

Speich: Wir beobachten einen recht neuen Trend: Aktivistische Aktionäre kapern das Thema Nachhaltigkeit, um daraus Profit zu schlagen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Speich: Ein US-Hedgefonds fordert aktuell, einen großen Energiekonzern aufzuspalten – in einen "braunen" und in einen "grünen" Teil.

Klingt nicht so verkehrt.

Speich: Im Sinne der Nachhaltigkeit wäre das kontraproduktiv, weil so die nötige Transformation des Gesamtkonzerns ausbleiben würde. Eine solche Aufspaltung würde mit Blick auf den Aktienkurs vielleicht ein kurzes Strohfeuer entfachen, ganz im Sinne des aktivistischen Investors, der dann mit Gewinn aussteigen könnte. Mittelfristig wäre aber weder für die Umwelt noch für das Unternehmen, sprich die Aktionäre, etwas gewonnen.

Wie oft kommt es denn vor, dass Sie einem Aktionärsantrag zustimmen?

Speich: Relativ häufig. Im vergangenen Jahr haben wir 64 Prozent der Anträge zugestimmt, die von einzelnen Aktionären kamen. Bei Sonderbeschlüssen, wenn es also um weitreichendere Themen wie eine Aufspaltung des Unternehmens oder die Ausschüttungspolitik ging, lag unsere Zustimmungsquote sogar bei 96 Prozent. Auch bei den normalen Tagesordnungspunkten ist es keineswegs so, dass wir alles "abnicken". Im vergangenen Jahr haben wir in 18 Prozent der Fälle gegen die Entlastung und auf fast jeder vierten Hauptversammlung gegen die Vergütung des Vorstands gestimmt. Geplante Kapitalmaßnahmen haben wir sogar mehrheitlich abgelehnt.

Ist die Erwartung, mit einem Aktionärsantrag in Sachen Nachhaltigkeit etwas zu bewirken, überhaupt realistisch?

Speich: Ja, das ist es. Ich erinnere mich an die Hauptversammlung eines Energiekonzerns vor zwei Jahren, bei der ein Aktionärsantrag die Initialzündung dazu gab, die Klimastrategie grundlegend zu überarbeiten. Es gab im Anschluss einen intensiven Dialog, an dessen Ende tatsächlich eine bessere Strategie stand. Ich finde es aber schwierig, wenn sich Investoren auf die Brust trommeln und behaupten, sie seien es gewesen, die ein Unternehmen auf den richtigen Weg geführt hätten. Diese Kausalität lässt sich meistens nur sehr schwer herstellen.

Was ist Ihrer Meinung nach denn der größere Hebel, den die Asset Manager ansetzen können: Die Stimmrechtsausübung oder das Engagement, also der kritische Dialog mit Vorstand und Aufsichtsrat?

Speich: Das Engagement ist das schärfere Schwert, weil wir da tief in die inhaltliche Diskussion einsteigen können und uns auch häufiger austauschen als nur einmal im Jahr auf der Hauptversammlung. Wir können dem Unternehmen konkrete Wegmarken setzen, beispielsweise wenn es um die Senkung der Kohlendioxidemissionen geht – verbunden mit der klaren Botschaft, dass wir die Aktien verkaufen, wenn diese Ziele nicht erreicht werden. Die Stimmrechte sind aber natürlich ein wichtiges Instrument, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Wenn wir im Gespräch mit dem Aufsichtsrat vor der Hauptversammlung ankündigen, gegen einen Tagesordnungspunkt zu stimmen, wenn er so auf die Agenda kommen sollte, reicht das oft schon aus, um eine Änderung zu erreichen.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)