Unvollendet und viel kritisiert: Die Tatsache, dass Österreich die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD trotz Fristenablaufs bisher nur teilweise umgesetzt hat, sorgt für Verunsicherung darüber, was noch auf den Sektor zukommen könnte. Das zeigte die lebhafte Diskussion beim Praxisdialog des Branchenverbands der selbständigen Versicherungsvermittler und Finanzberater Österreichs AFPA. Eine Runde aus hochrangigen Experten gab Auskunft.   

Die meisten Fragen und Appelle betrafen die noch nicht in Begutachtung geschickte Novelle der österreichischen Gewerbeordnung (GewO), die für selbständige Vermittler (Agenten, Vermittler, Vermögensberater) wesentliche Umsetzungsaspekte enthält. Die Novelle ist zwar seitens des Wirtschaftsministeriums ausgearbeitet, hängt aber "in der politischen Abstimmung" fest, wie Stefan Trojer, Legist für die Gewerbeordnung im Wirtschaftsministerium, sagte. Gegenüber FONDS professionell hatte es aus dem Wirtschaftsministerium kürzlich geheißen, dass es zu Beginn nächsten Jahres so weit sein dürfte. Trojer wollte sich angesichts der Verzögerungen aber nicht mehr festlegen und kommentierte die Zeitpunktfrage gewohnt pointiert: "Ich hoffe, dass das gelöst ist, bevor Ihnen noch alle Fragen bewusst werden".

Regeln für Nebentätigkeit offenbar noch ungeklärt
Noch nicht endgültig geklärt scheinen zum Beispiel die Regeln für die "Nebentätigkeit". In Österreich war die Anmeldung einer Versicherungsvermittlung im Nebengewerbe ab 2009 unzulässig. "Ich fürchte, wir werden das wieder einführen müssen", so Trojer. Die IDD führt explizit den Begriff der Nebentätigkeit an. Sie subsummiert diese zwar unter dem allgemeinen Begriff "Versicherungsvertreiber"; die Richtlinie ist damit generell auch für Nebenerwerbler anwendbar. An vielen Stellen des Regulierungstextes wird aber die Nebentätigkeit nicht mitgemeint, weil nicht von Vertreibern, sondern ausdrücklich nur von Vermittlern und Versicherungsunternehmen die Rede ist. So etwa bei den Weiterbildungserfordernissen oder bei den Infopflichten, wo es Ausnahmen gibt (Artikel 21). Die Nebentätigkeit gemäß IDD soll dem alten Nebengewerbe ähnlich sein, so Trojer.

AFPA-Chairman Johannes Muschik appellierte an Trojer: "Ersparen Sie uns die Wiedereinführung!". Wenn, dann müssten für das Nebengewerbe die gleichen Pflichten gelten. Frühere Fehler, insbesondere der Vertrieb zweifelhafter Produkte durch mangelhaft befähigtes Personal, dürften sich nicht wiederholen. Auch aus dem Publikum wurden Stimmen laut, die "Gold Plating" forderten.

Weiterbildung ab 2019 und Doppelbetätigungsverbot
Fix scheint in der bereits in der Pipeline liegenden GewO-Novelle die klare Trennung von Makler und Agent: Bis zum Doppelbetätigungsverbot solle es eine sechsmonatige Übergangsfrist geben, so Trojer. Ebenso sieht der Entwurf den Entzug der Gewerbeberechtigung vor, wenn jemand der gemäß Richtlinie vorgeschriebenen Weiterbildungsverpflichtung nicht nachkommt. Die Weiterbildungserfordernisse sind nach Rechtsmeinung des Wirtschaftsministeriums erst ab 2019 einzuhalten, obwohl die Richtlinie grundsätzlich bereits seit 1. Oktober dieses Jahres anzuwenden ist.

Demnach sieht die Novelle exakt die in der Richtlinie geforderten 15 Stunden für Makler und Agenten vor. Für Vermögensberater sollen es 20 Stunden sein, allerdings inklusive der Fortbildung für die Wertpapierberatung. Dieses "Inklusiv-Paket" ist den Maklern zu wenig. Sie fordern, dass die Vermögensberater die vollen 15 Stunden für den Versicherungsbereich absolvieren müssen.

Hohe Strafen möglich, FMA will aber Milde walten lassen
Ludwig Pfleger, in der FMA zuständig für Versicherungsaufsicht und Experte bei der EIOPA, zeigte sich überrascht, dass die Weiterbildung bei den Betroffenen immer wieder kritische Fragen aufwirft: "Meiner Ansicht nach machen die meisten ohnehin bereits mehr, als jetzt gefordert wird", so Pfleger. Wesentlicher seien andere Herausforderungen und Änderungen. Er verwies unter anderem auf das hohe Strafmaß bei Verstößen (Für natürliche Personen bis zu 700.000 Euro oder bis zum Zweifachen des unrechtmäßigen Nutzens einschließlich eines vermiedenen Verlusts). Pfleger sagte jedoch, seine Behörde setzte auf Mahnen, statt sofort das volle Strafausmaß anzupeilen. Die FMA habe ab 2019 die gesetzliche Befugnis, mit Augenmaß vorzugehen. "Das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz sieht vor, dass wir dann von einer Strafe absehen können, wenn es kein bedeutendes Vergehen war", so Pfleger. Festgelegt ist dies in Paragraf 22, Absatz 6. 

Die IDD selbst stärke die Aufseher, weil die Regulierung neue Produktinterventionsbefugnisse bringt. Die EIOPA und die ESMA können einem Produkt einen Riegel vorschieben, wenn es international vertrieben wird. Ansonsten greift die nationale Behörde ein und kann nun einzelne Produkte oder Merkmale verbieten.

Zuständigkeit: Produktkontrolle und Direktvertrieb liegt bei FMA
Immer wieder werde an ihn die Frage gerichtet, welche Behörde für Produktkontrolle und welche für Vertrieb zuständig sei: "Bei der Produktkontrolle ist ausschließlich die FMA zuständig. Das betrifft Versicherungs- und Versicherungsanlageprodukte", stellte Pfleger klar. "Beim Vertrieb ist die FMA für den Direktvertrieb und Fremdprodukte verantwortlich", sagte er. Für die gewerblichen Agenten und Makler seien die Bezirksverwaltungsbehörden zuständig und in letzter Konsequenz das Wirtschaftsministerium.

Beate Blaschek vom Konsumentenschutz im Sozialministerium sieht sehr viele Pluspunkte in der Regulierung, insbesondere die Delegierte Verordnung über die Aufsichts- und Lenkungsanforderungen ((EU) 2017/2358) hob sie hervor. Zum Beispiel, muss der Vertrieb rückmelden, wenn ein Produkt beim Kunden Probleme verursacht. "Die Versicherungsunternehmen sind auf die Vertreiber angewiesen. Ich finde es gut, dass man ein Produkt noch im Zyklus adaptiert, weil man sieht, dass es wo nicht funktioniert", so Blaschek.

"Gerichte werden entscheiden müssen"
Allerdings weist sie auf Spielräume hin, die beobachtet werden müssten, etwa bei der Aus- und Weiterbildung, wo die GewO-Novelle noch Standards setzen kann. Zum Beispiel gehören zur Weiterbildung auch ethische Standards und "einschlägige Nebengesetze" – darunter sollen zum Beispiel Verbraucherschutz, Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht fallen. Wie und von wem dies geprüft und kontrolliert wird, sei fraglich. "Uns ist wichtig, dass es unabhängige Institute gibt", so Blaschek.

Ihrer Ansicht nach werden die zahlreichen vagen Formulierungen im nationalen Gesetz, sowie in der Richtlinie (etwa "verhältnismäßig“ oder "ehrlich, redlich und professionell") noch juristisch ausgefochten werden. "Letzten Endes wird die Auslegung beim EuGH liegen", so Blaschek. Außerdem kritisiert sie, dass es trotz des umfassenden Anwendungsbereichs der IDD viele Ausnahmen gibt: Etwa, dass bei gewissen Altersvorsorgeprodukten das standardisierte Infoblatt fehlt.

Chance auf einheitliche Standards vertan
Martin Ramharter vom Finanzministerium sieht dies ebenfalls als Problem, stellt aber eine mögliche Lösung in Aussicht. "Im Rahmen des paneuropäischen Pensionsprodukts PEPP wird ein KID vorgeschlagen. Da könnte man nachdenken, ob dieses auch für das österreichische Pensionsprodukt passt", so Ramharter.

Seine Kritik, die er der IDD voranstellt, ist aber unmvissverständlich: "Die Kommission hatte die Absicht ein Level Playing Field mit Wertpapierdienstleistungen herzustellen. Aber das wurde verwässert. Es gibt kein gleiches Schutzniveau", so Ramharter. Er sprach damit an, dass die MiFID II-Regulierung für den Wertpapierbereich in vielen Dingen wesentlich strenger ist, als die IDD. Nach MiFID II sind Provisionen nur noch erlaubt, wenn sie dem Kunden eine Qualitätsverbesserung bringen.

In der IDD heißt es, die Provision ist erlaubt, wenn sie die Qualität nicht verschlechtert. Österreich hätte hier ursprünglich einen Versuch des Goldplatings gewagt und im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) angelehnt an den MiFID II-Weg Provisionen verboten, es sei denn, sie sind nicht nachteilig. Nach Protest des Vertriebs ist das im neuen VAG positiver formuliert: Provisionen sind erlaubt, es sei denn, sie hindern den Vertreiber daran, im besten Kundeninteresse zu handeln.

Die IDD-Verzögerung
Die IDD sollte seit 1. Juli 2018 in nationales Recht umgesetzt sein. Seit 1. Oktober 2018 sind die Regeln auch von den Branchenteilnehmern einzuhalten. Während Österreich beziehungsweise das zuständige Finanzministerium das VAG regulierungskonform adaptiert hat (betrifft hauptsächlich Versicherungsunternehmen und deren Eigenvertrieb), ist die Gewerbeordnung (Zuständigkeit Wirtschaftsministerium) noch nicht angepasst, die für die selbständigen Vermittler wesentlich ist. (eml)