Die britische Fondsindustrie muss handeln, wenn sie ihre Produkte in Europa künftig weiterhin vertreiben möchte. Ein wichtiges Ergebnis des Brexit-Prozesses könnte nämlich sein, dass Großbritannien am europäischen Markt künftig den Status eines so genannten "Drittstaates" hat. Britische Finanzinstitute, -dienstleister und Fondsanbieter kämen demnach weder in den Genuss der Dienstleistungsfreiheit durch einen EU-Pass noch könnten sie von der europaweit freien Niederlassungswahl profitieren. Dies schränkt ihre Vertriebsaktivitäten signifikant ein. Die administrativen Hürden für die Zulassung und Verkauf von Fonds in der EU sind dann sehr hoch.

Darauf weisen die Experten von Baker Tilly Roelfs nachdrücklich in einem Kommentar hin. Allerdings lässt die Unternehmensberatung einen Aspekt außer Acht: Britische Fondshäuser können mit der Gründung einer europäischen Tochtergesellschaft ihre Fonds problemlos weiter in Europa vertreiben. M&G etwa, das in Deutschland lange Zeit nur britische Fonds vertrieb, hat diesen Schritt bereits vollzogen und nach dem Brexit-Votum Ableger in Dublin und Luxemburg gegründet (FONDS professionell ONLINE berichtete).

Hoher Verwaltungsaufwand
Gehen britische Anbieter den Umweg über eine europäische Tochter nicht, stehen sie allerdings vor Problemen. "Wollen britische Fondsanbieter dennoch in der EU aktiv werden, müssen sie einen ganz erheblichen Aufwand auf sich nehmen", sagt Aykut Bußian, Leiter Fund Solutions bei Baker Tilly.

So müsste etwa eine britische Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) beim beabsichtigten Vertrieb von Fonds an deutsche Privatanleger der nationalen Finanzaufsicht Bafin weitgehende Informationen zu ihrer Organisation zur Verfügung stellen. "Unterm Strich ist der Aufwand so groß, als würde die KVG einen eigenen Erlaubnisantrag nach dem deutschen Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) stellen. Dies – und die bekanntermaßen langen Prüffristen der Bafin – werden zusammen ein inakzeptables Vertriebshemmnis darstellen", führt Bußian weiter aus.

Die Einschränkungen gelten nicht nur beim Absatz an Privatanleger, sondern auch bei institutionellen Investoren. Bußian: "Beim Vertrieb von Spezialfonds an deutsche Investoren wirkt sich das Fehlen des EU-Passes für die britische KVG ebenfalls dramatisch aus: In diesen Fällen würde die EU einen Referenzmitgliedstaat bestimmen, dessen Regulierungsniveau die britische KVG erfüllen muss. Zum Vergleich: Handelt es sich um eine KVG aus der EU, genügt die Einholung einer Bescheinigung der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörde."  

Steuerliche Hürden
Neben diesen Hürden in den Bereichen Zulassung und Vertrieb gibt es auch steuerliche Effekte auf die Strukturierung der Fonds: "Dies betrifft vor allem mehrstöckige Holding-Strukturen mit britischen Gesellschaften und Gesellschaften in der EU. Bei solchen Konstellationen ist die Quellensteuerfreiheit bedroht", erläutert Experte Bußian weiter.
   
Ausgang und Dauer des Brexit-Prozesses sind derzeit noch völlig offen. Die Herangehensweise der EU scheint zu sein, dem Vereinigten Königreich den Status eines EWR-Mitglieds zu verwehren. Dieser Status, den beispielsweise auch Norwegen innehat, umfasst die vier Grundfreiheiten des freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs. Schlimmstenfalls käme es mit Großbritannien zu einem Präzedenzfall, dem andere EU-Mitglieder folgen würden. Die Alternative dazu ist, dass Großbritannien den Status eines so genannten "Drittstaates" bekäme. Dies hätte für die britische Fondsbranche erhebliche, negative Folgen. (jb)