Die Aufarbeitung des Bilanzskandals beim deutschen Zahlungsabwickler Wirecard kommt nun auch in Österreich in die Gänge. Wie die Tageszeitung "Der Standard" berichtet, evaluiert die Anwaltskanzlei Christandl & Partner Ansprüche gegen die deutsche Finanzmarktaufsicht Bafin und gegen den Wirtschaftsprüfer EY. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats seien von der Sozietät schon belangt worden, weil diese nach Ansicht von Christandl ihrer Verpflichtung, die Einführung von Kontrollsystemen zu überwachen, nicht nachgekommen sind.

Seit Montag (28. Juni) gibt es außerdem auch in Österreich eine Strafanzeige. Sie richtet sich gegen Wirecard-Ex-Chef Markus Braun und gegen den früheren Vorstand Jan Marsalek, der derzeit per Haftbefehl gesucht wird. Anwalt Jörg Zarbl hat bei der Staatsanwaltschaft Wien laut "Standard" Ermittlungen gegen die beiden Österreicher wegen des Verdachts der Marktmanipulation und des schweren Betrugs angestoßen. Für beide gilt die Unschuldsvermutung.

Fragwürdiger Aktiendeal und Belehnungen in Österreich
Zarbl habe in seinen Recherchen "bemerkenswerte Informationen gewonnen". Demnach hat Braun über eine Beteiligungsgesellschaft noch Mitte Mai Wirecard-Aktien gekauft. Zeitgleich wurde ein Kredit über 120 Millionen Euro aufgenommen und mit zwei Liegenschaften in Kitzbühel und in Wien-Hietzing belehnt. Zarbl vermutet in der Sachverhaltsdarstellung, dass Braun den Aktienkurs durch Zukäufe "manipulieren wollte, um dadurch Anleger in Sicherheit zu wiegen". Es seien aber mehrere Deutungsweisen möglich: Etwa, dass Braun noch an den Erfolg von Wirecard geglaubt und auf Wertsteigerung gesetzt hat. Wirecard hat wie berichtet vergangene Woche nach einem Eingeständnis mutmaßlicher Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro Insolvenzantrag gestellt.

Auch die österreichische Sammelklagenplattform Cobin Claims hat zum Wirecard-Desaster Recherchen gestartet, wie es gegenüber FONDS professionell ONLINE heißt. Darüber hinaus zieht der Fall hierzulande seine Kreise in andere Nebenschauplätze hinein: So gehörte Ex-Wirecard-Chef Braun dem wirtschaftspolitischen Beratergremium Think Austria von Bundeskanzler Sebastian Kurz an. Auch andere Politiker hatten sich früher gern mit Braun gezeigt und versuchen nun, Imageschäden abzuwenden, indem die Kontakte kleingeredet werden. Braun hatte nicht nur für die ÖVP sondern davor auch für die Neos gespendet.

Organisation der Bilanzprüfung in Diskussion
Gleichzeitig tauchen nun auch in Österreich Diskussionen über eine Neuordnung der aufsichtsrechtlichen Bilanzprüfung auf. Der Hintergrund: Wie diese Woche bekannt wurde, kündigen das deutsche Justiz und Finanzministerium den Vertrag mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Der privatrechtlich organisierte Verein DPR kontrolliert im Staatsauftrag die Bilanzen und hat im Fall von Wirecard nach Ansicht der Ministerien versagt. Der externe Anbieter wird in Deutschland oft als "Bilanzpolizei" bezeichnet. Auch Österreich hat dieses System einer privatrechtlich organisierten Einrichtung in Form der Österreichischen  Prüfstelle für Rechnungslegung (OePR) übernommen. Hier dürfte in nächster Zeit die Qualität der Leistungen ebenfalls unter die Lupe genommen werden. (eml)