Nach einem Jahr Pandemiepause eröffnete der diesjährige FONDS professionell KONGRESS mit großem Schwung: Vor bestens gefüllten Zuschauerreihen trat Hans-Werner Sinn, emeritierter Präsident des Münchner ifo Instituts, auf das Podium und erfüllte von Beginn weg die Zuschreibung, mit der er angekündigt war: Als Ökonom, der sich nicht scheut, Unbequemes auszusprechen, stimmte er das Publikum darauf ein, dass die hohe Inflation, die wir momentan sehen, noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Und, dass sich die Wirtschaft aufgrund von Angebotsschocks in einer veritablen Klemme befindet: "Wir haben eindeutig eine Stagflation", so Sinn.

Stagflation beschriebt eine Situation, in der es zwar eine hohe Nachfrage gibt, aber die Unternehmen nicht die nötigen Mittel bekommen und daher die Produktion drosseln müssen. Das Wirtschaftswachstum sinkt, gleichzeitig steigt aber die Teuerung. Die Lieferengpässe, die die Produzenten momentan bei Chips, Holz, Stahl oder anderen produktionsrelevanten Rohstoffen sehen, sorgen für historische Rekordwerte beim Ifo-Knappheitsindex für das verarbeitende Gewerbe: "Die Firmen sagen, die Auftragsbücher sind voll, aber sie bekommen keinen Nachschub", so Sinn.  

Ölzufuhr gedrosselt
Dazu kommt, dass die Energiezufuhr nach der Pandemie zu spät wieder hochgefahren wurde: "Wir hatten während der Pandemie das erste Mal seit 40 Jahren einen Einbruch der Ölproduktion. Als die Nachfrage stieg, zog die Produktion nicht ausreichend mit an", so Sinn. Noch stärker sei der Preisanstieg beim Gas. Das alles führt dazu, dass sich die gewerblichen Erzeugerpreise enorm erhöhen – viel stärker, als man es momentan noch in den Konsumentenpreisen sieht: In Frankreich stiegen die Erzeugerpreise Anfang dieses Jahres zum Vorjahr um 22 Prozent, in Österreich um 24 Prozent, in Spanien um 36 Prozent und in Italien waren es 42 Prozent, wie Sinn ausführte. Zum Vergleich: beim Ölpreisschock in den 70er-Jahren waren es nur 15 Prozent in Deutschland.

"Diese Werte geben uns einen Eindruck von dem, was noch kommt", so Sinn. Denn: die Erzeugerpreise schlagen sich normalerweise mit ungefähr drei Monaten Verzögerung auf die Konsumpreise durch. Und selbst da kommt nicht alles auf einmal an, sondern der Effekt wird längerfristig durchsickern: "Hier sind noch acht bis neun Prozent Inflation für die Konsumenten in der Pipeline", so Sinn.

Kritik an der EZB
Er kritisierte scharf die EZB, die mit dem Kauf von Staatspapieren den Pfad ihres (eigentlich auf Preisstabilität ausgerichteten) Mandates verlassen habe und damit zur Inflation beitrage. Es sei nicht die reine Erhöhung der Geldmenge, die inflationär wirke, sondern die durch die EZB-Maßnahmen geförderte Verschuldung der Staaten, die wiederum die Inflation befeuere.

Und die Verschuldung steigt weiter: Zum Beispiel verstärken die europäischen Staaten angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine ihre Wehrbudgets. "Hier wird viel Inflation erzeugt. Jede Verschuldung ist inflationär", so Sinn.

Die EZB habe die Situation nicht im Griff. Vor allem kritisierte Sinn, dass durch die verzögerte Bremspolitik eine Euroabwertung entsteht, und damit eine importierte Inflation. Man habe zur Zeit die Situation, dass weniger verschuldete Nationen, wie die USA, höhere Zinsen bieten, als hochverschuldete Staaten, wie Italien. Die Folge: Investoren legen lieber in den USA an, kaufen dafür Dollar, der Euro wertet ab.

Verschuldung weiter gestützt
Dass EZB-Chefin Christine Lagarde sage, sie habe keinen Einfluss auf die Energiepreise, sei nicht nachvollziehbar, so Sinn. Die lockere Geldpolitik führe zu einer Abwertung des Euro und damit eben zu steigenden Energiepreisen. "Die EZB macht schon lange keine Zinspolitik mehr im Sinne des Maastricht-Vertrages. Es entsteht eher der Eindruck, dass hoch verschuldete Staaten vor einem Zinsanstieg geschützt werden sollen", so Sinn. Die EZB wolle Wahrheiten nicht zur Kenntnis nehmen.

Zu diesen Wahrheiten gehört wohl auch, dass das Vertrauen der Bürger enorme Risse bekommen hat. Der von Sinn präsentierte Index für Deutschland, der das Vertrauen in die Zukunft zeigte, hatte bei den diversen Wirtschaftsschocks immer wieder Rückschläge. "Aber so tief wie jetzt, war es seit der Gründung der Bundesrepublik noch nie", so Sinn. Ähnliche Zahlen findet man auch in anderen Industriestaaten, etwa in den USA, wo der Michigan Index für das Konsumvertrauen enorm abgesackt ist. (eml)