Der Blick auf die volkswirtschaftliche Entwicklung seit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 ist aus europäischer Sicht einigermaßen ernüchternd. Nach dem Pandemie-Einbruch hat sich zwar das Bruttoinlandsprodukt (BIP) deutlich erholt. In realen Zahlen sei der Kontinent jedoch nicht sehr weit über das Vorkrisenniveau von 2019 hinausgekommen. "Wir tun uns deutlich schwerer als die USA", sagte Ifo-Chef Clemens Fuest, Eröffnungsredner am diesjährigen FONDS professionell KONGRESS in Wien. 

Zwar habe sich die Stimmung in der Wirtschaft seit vergangenem Herbst deutlich aufgehellt. Damals ging noch die Sorge vor Gasrationierungen und schweren Produktionseinbrüchen um. Vor allem aufgrund des milden Winters ist diese Situation nicht eingetreten. Allerdings bleibe das Umfeld herausfordernd, sagte Fuest.

Unter anderem müssen Europas Bürger – vor allem aufgrund der steigenden Importpreise – weiterhin Wohlstandsverluste hinnehmen. Während die nominalen Einkommen deutlich zugelegt haben, sorgt die hohe (oft über Energiepreise importierte) Inflation dafür, dass die Haushalte real auf Einkommensverlusten sitzen. 2023 dürfte etwa in Deutschland bei den Bürgern ein reales Einkommensminus von über einem Prozent zu Buche stehen. Im Vorjahr waren es deutlich über zwei Prozent. In Österreich könne man von ähnlichen Einkommensverlusten ausgehen, so Fuest. 

Kaufkraft hat deutlich nachgelassen
Die Haushalte selbst merken real von Vorkrisenniveaus noch wenig. "Die Kaufkraft liegt 2023 erheblich unter jener von 2019", sagte Fuest. Auch 2025 soll sie noch unter Werten von vor der Corona-Pandemie liegen. 

Herausfordernd werde es hier, durch die Lohnverhandlungen zu navigieren. Wenn, wie in Österreich und Deutschland, Erhöhungen von um die zehn Prozent gefordert werden, müsse man auch auf die inflatorischen Konsequenzen achten. "Es wird mehr Geld losgelassen auf einen Kuchen, der kleiner geworden ist. Das ist ein Dilemma", so Fuest. 

Inflationsdruck bleibt
Er geht davon aus, dass der Inflationsdruck hoch bleibt und daher die Notenbanken weiter deutlich die Zinsen anheben werden. Zwar sorgt das Sinken der Energiepreise für eine Entlastung, jedoch sei der Anstieg der Kerninflation (ohne Energie) ungebrochen. Auch längerfristig gebe es strukturell nicht viel Entspannung. Im Gegenteil, zahlreiche Entwicklungen sprechen für eine anhaltende Teuerung: Die Demografie (Bevölkerungsalterung und Arbeitskräfteverknappung) und Rückgänge im Außenhandel beziehungsweise Reshoring von Industrien haben genauso einen anhaltenden Inflationseffekt wie die gewünschte Dekarbonisierung.

Geht es nach Fuest, steht Europa jedoch nicht so schlecht da, wie öffentlich oft wahrgenommen. Das machte der Ifo-Chef am Beispiel des vieldiskutierten Inflation Reduction Act deutlich, einem milliardenschweren US-Subventionsprogramm, das in Europa für Verunsicherung sorgt. Konzerne wie VW haben bereits Produktionsanteile in die USA verlegt. Natürlich habe Europa viel Potenzial bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit und der Umrüstung auf erneuerbare Energien, so Fuest. Auch die Energiepolitik müsse überdacht werden. So scheine der politisch angestrebte baldige Ausstieg aus Kohle angesichts des Rückzugs aus Gas und der noch nicht ausreichend ausgebauten erneuerbaren Quellen nicht realistisch. Hier sei eine politisch klare Linie gefordert. Konzerne würden nämlich auch deshalb abwandern, weil die Energieversorgung in Europa nicht sicher ist.

Brauchen keine neuen Subventionen
Gleichzeitig ist die Investitionsbasis in Europa laut Fuest nicht schlecht: "Europa braucht sicher keine weiteren schuldenfinanzierten Subventionen", meint er. Was oft übersehen werde: Der US Inflation Reduction Act sei aufkommensneutral gestaltet. Es gehe nicht um neue Ausgaben, vielmehr würden erhöhte Unternehmenssteuern in Bereiche wie Gesundheit und Dekarbonisierung umgeleitet. "Das wird in Europa überdramatisiert", so Fuest. Auch würden zum Beispiel im Rahmen des Inflation Reduction Act nur 208 Milliarden Dollar in die Subvention von erneuerbaren Energien fließen, während die EU dafür 800 Milliarden bereitstellt. "Wir sollten uns lieber auf unsere strategische Ausrichtung konzentrieren, den Ausbau der Infrastruktur oder von Wasserstofftechnologien", sagte Fuest. (eml)