Bereits zu Jahresbeginn hatte die Finanz- und Steuerrechtlerin Sabine Kirchmayr-Schliesselberger (Universität Wien) bei einer Diskussionsveranstaltung darauf hingewiesen, dass bei Änderungen der Kapitalertragssteuer auf Wertpapiere (KESt) verfassungsrechtliche Fragen bedacht werden müssen. Eine Besteuerung von Wertpapiergewinnen ist in der Verfassung verankert. Änderungen bedürfen deshalb einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament (die Redaktion berichtete). Nun konkretisiert Kirchmayr-Schliesselberger die Bedenken in einem Gutachten. Darüber berichtet der "Standard".

Das Thema rückt wegen der Pläne von Finanzminister Magnus Brunner in den Fokus, der an einem Vorsorgedepot arbeitet, in dessen Rahmen Bürger Geld veranlagen und die Gewinne nach einer gewissen Behaltefrist steuerfrei entnehmen können. Eine mögliche Ausgestaltung wäre, dass etwa bei einem Betrag von 100.000 Euro und einer Mindestlaufzeit von ein bis drei Jahren eine KESt-Befreiung kommt. Bei niedrigeren Beträgen schon früher.

Kurze Behaltefrist verfassungswidrig?
Eine derart kurze Behaltefrist sei mit der Verfassungsvorgabe möglicherweise nicht vereinbar, berichtet der "Standard" aus dem Gutachten von Kirchmayr-Schliesselberger, das für die Arbeiterkammer erstellt wurde. Bei einer Behaltefrist von zwei oder drei Jahren könne man demnach nicht von einem Produkt zur Pensionsvorsorge ausgehen. Damit entfalle die Möglichkeit, die Wertpapier-KESt abzuschaffen.

Laut "Standard" wird im Finanzministerium nun über ein adaptiertes Modell gesprochen, bei dem tatsächlich nur Wertpapiere mit einer deutlich längeren Behaltefrist von der Besteuerung ausgenommen sein sollen, um das juristische Problem zu bewältigen. Geeignet wäre ein solches Modell jedoch nur noch für die Pensionsvorsorge, nicht mehr für Anleger. Das sei nicht, was die ÖVP wollte. (eml)