Seit Mitte Juli ist mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt das Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz (VirtGesG) in Kraft. Seither gilt, dass in Österreich Hauptversammlungen nicht nur physisch oder hybrid, sondern auch ausschließlich online stattfinden dürfen. Eine digitale HV kann per Satzungsmehrheit (75 Prozent) für fünf Jahre festgelegt werden. Über die damit einhergehenden Probleme berichtet FONDS professionell in einem Artikel, der in voller Länge in der neuen Heftausgabe erschienen ist.

Aktionäre können, sofern sie auf fünf Prozent des Grundkapitals kommen, eine physische Versammlung beantragen. Im heftig umstrittenen Vorschlag von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) waren zuerst sogar zehn Prozent vorgesehen. "Zehn Prozent waren surreal. Fünf Prozent bleiben für den Streubesitz absolut unrealistisch", kritisiert Florian Beckermann, Präsident des Interessenverbands für Anleger (IVA). Denn selbst wenn Antragsteller die fünf Prozent zusammenbekommen, erwarten sie schwere Hürden: In der Zeit, in der die Gesellschaft prüft, ob die Schwelle wirklich erreicht ist, dürften die Betroffenen keine Anteile verkaufen, um die Fünf-Prozent-Marke nicht zu gefährden. Im Fall großer Unternehmen müssten dann über Wochen Tausende Kleinaktionäre "stillhalten".

Viel Widerstand, viele Probleme
Die Opposition war gegen das Gesetz. Auch im Begutachtungsprozess gab es verglichen mit anderen Legislativvorhaben eine sehr hohe Zahl negativer Stellungnahmen. Sie sind auf der Parlaments-Homepage nachzulesen. Privataktionäre beklagen darin ihre Erfahrungen mit Online-HVs: Eingebrachte Fragen werden oft aus dem Zusammenhang gerissen oder nur mangelhaft beantwortet; spontane Nachfragen sind nicht möglich; die so wichtige Absprache mit anderen Aktionären an Ort und Stelle fällt weg; und sehr häufig sind virtuelle HVs von technischen Problemen überschattet.

In Österreich sorgte die Bawag für Unmut, weil sie heuer bereits die fünfte virtuelle HV abhielt – wovon CEO Anas Abuzaakouk drei Mal hintereinander die Sitzung überhaupt schwänzte. Entrüstung unter den Aktionären gab es im Mai auch über die deutsche Commerzbank, bei der die Redebeiträge auf der digitalen HV technisch mehrfach abrissen. Turbulent verlief die digitale DWS-HV im Juni, bei der Redner kritisierten, die DWS-Fondsmanager würden virtuelle Aktionärstreffen ablehnen, während der Asset Manager selbst dieses Format wähle. Am Ende stimmten dennoch 98 Prozent einer Satzungsänderung zu, die der DWS künftig virtuelle Hauptversammlungen ermöglicht: In Deutschland können Kleinaktionäre nicht per Zusammenschluss eine physische HV durchsetzen. Und den Großinvestoren ist die kommunikative Komponente der Präsenz-HV egal, weil sie andere Möglichkeiten nutzen, um mit den Unternehmen in Kontakt zu treten.

Deutsche Unternehmen überwiegend für Digital-HV
Von den 40 größten deutschen Börsenfirmen plant mehr als die Hälfte heuer eine rein digitale Hauptversammlung, hat die Presseagentur "dpa" ermittelt. Und das deutsche Aktionärsforum erhob, dass sich fast 90 Prozent der Konzerne aus Dax, M-Dax und Tec-Dax diese Möglichkeit durch eine Satzungsänderung bereits eingeräumt haben.

Dass in Österreich Kleinaktionäre überhaupt eine Vor-Ort-HV verlangen können, sei zwar ein Gewinn, so Beckermann, in der Realität habe man davon aber wenig. "Der Anlegerschutz, den man vorgibt, ist eine wirkungslose Hülse", sagt er. Justizministerin Zadić antwortete nicht auf eine Anfrage der Redaktion.

Auch Unternehmen haben schon ihre Ablehnung ausgedrückt. Die rein virtuelle HV "entspricht nicht unserem Verständnis einer unmittelbaren persönlichen und transparenten Informationspolitik", schreibt etwa die Agrana in ihrem Beitrag zur Gesetzesbegutachtung.

Rein virtuelle HVs können noch dazu rechtliche Fragen aufwerfen. In Deutschland müssen die Notare, die üblicherweise die Richtigkeit von HVs absegnen, mit dem Vorstand physisch vor Ort sein. In Österreich ist das offenbar nicht so. Die Notare sind virtuell zugeschaltet, sagt deren Kammer gegenüber der Redaktion. (eml)


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