Will künftig noch jemand Finanzanalyst werden? Die Frage scheint durchaus berechtigt. Marktteilnehmer werden sich in den kommenden Jahren umstellen und für Research tiefer in die Tasche greifen müssen. Allerdings sind die Taschen ausgerechnet aufseiten wichtiger Abnehmer – sprich: der Asset-Management-Branche – wegen der Margenerosion zurzeit und auf Jahre hinaus nicht besonders tief. Hinzu kommt: Die Reihen der Wettbewerber und mithin Abonnenten von Research-Papieren lichten sich weiter, wie jüngste Schulterschlüsse einiger Fondsanbieter zeigen. Und die Möglichkeiten, Researchkosten an Endabnehmer, also Berater oder deren Kunden, durchzuleiten, nehmen auf Sicht generell rapide ab. Dafür sorgt die neue EU-Finanzmarktrichtline Mifid II ab Januar 2018. 

Deren Regeln sollen eine gewachsene Praxis eindämmen, bei der Fondsgesellschaften ihre Aktienorders an bestimmte Broker oder Banken leiten – quasi als Gegenleistung für den exklusiven Zugang zu deren Investment-Analysen. Dieses Arrangement hat Kritikern zufolge dazu geführt, dass zu viele Analysten zu viele schlechte Ratschläge gegeben haben.

Einige Analysten erachten die Entwicklung als "gut für die Besten der Besten, und schlecht für den Rest“, sagt Craig Moffett, Inhaber der Investmentboutique Moffett Nathanson und Brötchengeber einiger Wertpapier-Prognostiker, gegenüber Bloomberg. Eine andere mögliche Konsequenz: Weil die Erträge aus der Analyse mit der Zeit schrumpfen und die Möglichkeiten für Nachwuchs-Researcher, sich zu beweisen, abnehmen, dürfte die Branche wohl nicht mehr derart viele Talente anlocken wie in der Vergangenheit.

Wall Street wehklagt ebenfalls
Auch auf der anderen Seite des Atlantiks rückt die Analystenzunft ins Abseits. Der Umbau des acht Jahrzehnte alten Systems zur Bezahlung von Aktien-Analysen an der Wall Street soll die Transparenz erhöhen und die Konflikte reduzieren. Allerdings werden dann wohl nicht mehr so viele Leute den Beruf des Analysten ergreifen wollen, schätzt Moffett. 

Sinkende Ausgaben für Analysen sowie eine generelle Konsolidierung bei Brokern und Fondsgesellschaften sind die wahrscheinlichsten Nebeneffekte von Mifid II, heißt es in einem Papier aus dem Oktober, das von Bloomberg Intelligence gemeinsam mit Edison Investment Research und Frost Consulting veröffentlicht wurde. Vermögensverwalter in Europa und den USA könnten in Vorwegnahme der neuen Regulierung mehr als 300 Millionen Dollar aus ihren Analyse-Budgets streichen. Diesen Schluss legt auch eine Umfrage von Greenwich Associates unter Fondsmanagern nahe.

Kreativität gefragt
Angesichts der im Januar 2018 einsetzenden neuen Regeln versuchen die Analyse-Anbieter derzeit, schnellstmöglich neue Preismodelle zu entwickeln. Einige Banken schlagen der Financial Times zufolge bis zu zehn Millionen Dollar pro Jahr für einen "Flat-Rate"-Zugang zu sämtlichen Analysen vor – oder bis zu 10.000 Dollar für ein exklusives Telefonat mit einem Top-Analysten. Diskutiert werden auch sogenannte A-la-Carte-Modelle, bei denen stets nur das zu bezahlen ist, was abgerufen wird.

Bei einer Sache sind sich aber fast alle sicher: Es dürfte in Zukunft insgesamt weniger Analysten geben. Moffett etwa prognostiziert, dass ein großes Unternehmen wie der US-Telekomkonzern Verizon Communications in Zukunft nur noch von zehn bis zwölf Analysten abgedeckt werden könnte. Das wären deutlich weniger als jene 39 Analysten, die sich laut Bloomberg-Daten derzeit um Verizon kümmern. Ein anderes "Opfer" könnten kleinere und mittelgroße Aktienunternehmen sein. Bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie von den Analysten, die noch übrig bleiben, kaum mehr beachtet werden, da die Handelsabteilungen ihrer Arbeitgeber mit Mid- und Small-Caps einfach zu wenig umsetzen.

Doch es gibt nicht nur Schattenseiten. Mit einer sinkender Anzahl an "Konkurrenten" steigen für die verbleibenden Analysten die Chancen, auf der "Buy-Side", also bei Kapitalsammelstellen wie Fondsanbietern oder Pensionskassen, nicht nur eine Neuanstellung zu finden, sondern in neuer Position unentdeckte Perlen im Small- und Mid-Cap-Bereich zu finden. Auch die Möglichkeiten aktiver Fondsmanager, Überrenditen zu erzielen, werden dadurch nicht eben kleiner -– zumindest bei Nebenwerten. (aa/ps)-