Die von spezialisierten Agenturen erstellten ESG-Ratings geben ein Urteil über das Nachhaltigkeitsprofil eines Unternehmens oder eines Finanzinstruments ab, indem sie dessen Exposition gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken und den Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt bewerten. Von daher haben ESG-Ratings einen zunehmend wichtigen Einfluss auf das Funktionieren der Kapitalmärkte wie auch auf das Vertrauen von Investoren in nachhaltige Produkte.

Kein Wunder, dass Vincent Van Peteghem, als belgischer Finanzminster Mitglied des Verhandlungsteams, kommentiert: "Ich begrüße diese Einigung. Die Stärkung des Anlegervertrauens durch transparente und regulierte ESG-Ratings kann einen bedeutenden Einfluss auf unseren Übergang zu einer sozial verantwortlicheren und nachhaltigeren Zukunft haben." Seine französische Verhandlungskollegin, die EU-Abgeordnete Aurore Lalucq, sprach gar von einem "historischen Durchbruch für die nachhaltige Finanzwirtschaft".

Zuverlässigkeit, Vergleichbarkeit und Transparenz
Die neuen Regeln zielen darauf ab, die Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit von ESG-Ratings zu stärken, indem sie die Transparenz sowie die Integrität der Tätigkeit von ESG-Ratinganbietern verbessern und potenzielle Interessenkonflikte verhindern. Nach den nun gefundenen Vorschriften müssen ESG-Ratinganbieter von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) nicht nur zugelassen und beaufsichtigt werden, sie müssen auch bestimmte Transparenzanforderungen erfüllen, insbesondere in Bezug auf ihre Methodik und Informationsquellen.

Die wichtigsten Elemente der vorläufigen Einigung
In der von Rat und Parlament gefundenen Einigung wurden nicht nur die Umstände geklärt, unter denen ESG-Ratings in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, es wurden auch Einzelheiten zu künftig geltenden Ausnahmen festgelegt.

  • Geeinigt hat man sich darauf, dass Finanzmarktteilnehmer oder Finanzberater, die ESG-Ratings als Teil ihrer Marketingkommunikation veröffentlichen, Informationen über die bei diesen ESG-Ratings verwendeten Methoden auf ihrer Website bereitstellen müssen. Erreicht wurde das durch eine Änderung der "Offenlegungsverordnung", englisch abgekürzt SFDR.
  • Klargestellt wurde dabei, dass ESG-Ratings Umwelt-, Sozial- und Menschenrechts- oder Governance-Faktoren umfassen. Die Vereinbarung sieht dabei die Möglichkeit vor, separate E-, S- und G-Ratings zu erstellen. Wenn jedoch nur ein einziges Rating abgegeben wird, sollte die Gewichtung der E-, S- und G-Faktoren explizit angegeben werden.
  • Anbieter von ESG-Ratings mit Sitz in der EU müssen von der ESMA eine Zulassung erhalten. ESG-Ratinganbieter mit Sitz außerhalb der EU, die in der EU tätig werden wollen, müssen eine Bestätigung ihrer ESG-Ratings durch einen in der EU zugelassenen ESG-Ratinganbieter, eine Anerkennung auf der Grundlage eines quantitativen Kriteriums oder die Aufnahme in das EU-Register der ESG-Ratinganbieter auf der Grundlage einer Entscheidung über die Gleichwertigkeit in Bezug auf das Herkunftsland und im Anschluss an einen Dialog zwischen der ESMA und der zuständigen Behörde des jeweiligen Drittlandes erhalten.
  • Für kleine Ratinganbieter und -Gruppen wurde eine vereinfachte, befristete und fakultative Registrierungsregelung von drei Jahren eingeführt. Kleine ESG-Ratinganbieter, die sich für diese vereinfachte Regelung entscheiden, profitieren von geringeren Gebühren bezüglich der Aufsicht durch die ESMA. Sie müssen dabei einige "allgemeine Organisations- und Governance-Grundsätze" sowie bestimmte Transparenzanforderungen gegenüber Öffentlichkeit und Nutzern erfüllen.
  • Für kleine ESG-Ratinganbieter sieht die Vereinbarung außerdem vor, dass die ESMA bei Vorliegen der Voraussetzungen beschließen kann, einen ESG-Ratinganbieter von einigen der Anforderungen zu befreien, allerdings nur in hinreichend begründeten Fällen und auf der Grundlage der Art, des Umfangs und der Komplexität der Geschäftstätigkeit des ESG-Ratinganbieters sowie der Art und des Umfangs der Abgabe von ESG-Ratings.

Mit der Vereinbarung wird eine grundsätzliche Trennung von Geschäften und Tätigkeiten eingeführt, wobei ESG-Ratinganbieter die Möglichkeit haben, für bestimmte Tätigkeiten keine eigene Rechtspersönlichkeit zu gründen, sofern eine klare Trennung zwischen den Tätigkeiten besteht und sie Maßnahmen zur Vermeidung potenzieller Interessenkonflikte ergreifen. Diese Ausnahmeregelung gilt jedoch nicht für ESG-Ratinganbieter, die Beratungs-, Prüfungs- und Ratingtätigkeiten ausüben. Sie können dennoch Benchmarks entwickeln, wenn die ESMA der Auffassung ist, dass ausreichende Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten ergriffen wurden.  

Die Ratinganbieter werden zudem ausdrücklich offenlegen müssen, dass ihre Bewertungen neben den Auswirkungen von ESG auf das Endergebnis eines Unternehmens auch die Auswirkungen der jeweiligen Geschäftstätigkeit auf Umwelt und soziale Faktoren wie etwa die Menschenrechte abdecken. Damit wollen die EU-Verantwortlichen mehr Ratings fördern, die die sogenannte "doppelte Wesentlichkeit" abdecken, ein Aspekt, der bereits in den EU-Nachhaltigkeitsanforderungen an börsennotierte Unternehmen enthalten ist. Gemeint sind die ESG-Auswirkungen in beide Richtungen, zum einen auf das Unternehmen selbst, aber eben auch umgekehrt auf die Umwelt.

Die nun gefundene vorläufige Einigung muss noch von Rat und Parlament gebilligt werden, bevor sie das förmliche Annahmeverfahren durchläuft. Die Verordnung soll dann 18 Monate nach ihrem Inkrafttreten angewendet werden. (hh)