Wie die Redaktion berichtete, gibt es momentan in der Nachhaltigkeitsberatung eine Kluft zwischen regulatorischem Wunsch und tatsächlichen Marktgegebenheiten. Einerseits müssen Kunden, die bewusst grün oder ethisch anlegen wollen, gefragt werden, wie viel es denn sein soll (Mindestprozentsatz). Andererseits nennen Fonds und andere Finanzprodukten solche Prozentwerte oft noch gar nicht; oder sie setzen ihre grünen Minimumschwellen extrem tief an. In der Realität heißt das für Anleger, die einen hohen Nachhaltigkeitsanteil wollen, dass sie kaum passende Produkte finden.

Einige Banken oder Versicherungen versuchen nun übergangsmäßig den Kunden die Tür mit einem eigenen Modell zu öffnen: Eine Variante, in dem jegliche Fonds mit Nachhaltigkeitsaspekt vorerst als "voll sustainable" eingestuft werden. Das berichtete unlängst bei einer Onlineveranstaltung Martin Kwauka, Leiter des Finanzjournalistenforums. Er hat bei Instituten nachgefragt. Demnach gehen manche Anbieter so vor, dass sie "hellgrüne" oder "dunkelgrüne" Fonds (Produkte nach Artikel 8 oder 9 Offenlegungs-VO) automatisch mit 100 Prozent Nachhaltigkeitsanteil werten, unabhängig von ihrem nachhaltigen Minimuminvestment.

Mischung aus konventionellen und nachhaltigen Fonds
Ein Beispiel seien die Fondspolizzen eines Anbieters: Will ein Kunde mindestens 20 Prozent nachhaltig investieren, betrachtet dieser Anbieter den Wunsch als erfüllt, wenn der Betrag gefünftelt wird und dann in vier konventionelle Fonds sowie einen Fonds nach Artikel 8 oder 9 fließt. Ähnliche Vorgehensweisen planen auch Banken, so Kwauka. Dabei ist zu erwähnen, dass "hellgrün" oder "dunkelgrün" (Artikel 8 oder Artikel 9) grundsätzlich noch nichts darüber aussagt, wie hoch der nachhaltige Anteil wirklich ist. 

Kwauka verwies darauf, dass die Finanzberatungsregeln der EU (Mifid II, IDD) dieses Modell so nicht vorsehen. Es bestehe die Gefahr, dass Kunden, die später mit der Performance unzufrieden sind, versuchen, es auf den fraglichen Quotenaspekt zu schieben, um vor Gericht mit einer Klage wegen Fehlberatung durchzukommen.

Komplexe Thematik
Ganz prinzipiell wirft die Quotendiskussion viele Fragen auf. Zum Beispiel jene, worauf der nachhaltige Prozentwunsch des Anlegers überhaupt bezogen sein soll: auf das einzelne Produkt, auf den Betrag oder das Portfolio? Alle drei Varianten sind möglich, müssen aber in der Beratung abgeklärt werden, wie aus dem Leitfaden des Fachverbands der Finanzdienstleister hervorgeht (externer Link).

Grundsätzlich verlange die delegierte Verordnung zur Wertpapierrichtlinie Mifid II, dass ein Berater den Mindestanteil für jedes einzelne Finanzinstrument abfragt. Wobei zu beachten ist, dass unter den breiten Begriff der Finanzinstrumente auch Einzeltitel fallen. Jedoch werde es bei Anleihen oder Aktien für gewöhnlich einen derartigen Mindestanteil nicht geben, weil diese Produkte entweder nachhaltig sind oder nicht, heißt es im Leitfaden.

Bei Finanzprodukten müssen Anbieter Zahlen liefern
Vom allgemeinen Begriff der Finanzinstrumente nach Mifid II ist die eingeschränktere Kategorie der Finanzprodukte zu unterscheiden, auf die sich Taxonomie- und Offenlegungsverordnung beziehen. Bei Finanzprodukten müssen die Hersteller selbst veröffentlichen, wie hoch die nachhaltigen Mindestinvestitionen sind. Unter Finanzprodukte fallen verwaltete Wertpapierportfolios, Investmentfonds (OGAW), alternative Investmentfonds (AIF), Versicherungsanlageprodukte (IBIPs), Paneuropäische Private Pensionsprodukte (PEPPs) sowie Altersvorsorgeprodukte und -systeme. Liefern die Anbieter hier erst einmal aussagekräftige Schwellenwerte, sollte die Orientierung vergleichsweise einfach sein. Zumindest in der Einzelbetrachtung.

Denn in der Praxis werde den Kunden oft ein Bündel an Finanzinstrumenten angeboten, wie die Fachverbandsexperten im Leitfaden betonen. Und eigentlich müsste dann nach dem Gebot der Mifid jede Einzelkomponente wegfallen, die unter der Kundenschwelle liegt. Daher besteht nach Ansicht der Finanzdienstleisterexperten die Möglichkeit, dass ein Kunde den Mindestanteil auch auf den zu veranlagenden Geldbetrag anwendet.

Durchrechnung in Fonds
Ein Beispiel aus dem Leitfaden: Bei einem Betrag von 100.000 Euro und einer gewünschten nachhaltigen Mindestschwelle von 30 Prozent müssen 30.000 Euro in nachhaltige Finanzinstrumente investiert werden. Bei Produkten, die selbst nur teils nachhaltig sind, müsse "durchgerechnet" werden: Fließen etwa 30.000 Euro in einen OGAW mit grünem Mindestwert von 50 Prozent, dann gelten 15.000 Euro des Kunden als nachhaltig angelegt.

Dazu komme eine dritte Variante: Demnach können Kunden entscheiden, dass der minimale Nachhaltigkeitsanteil für das gesamte Portfolio gelten soll. (eml)