Internationale und österreichische Expertinnen und Experten beschäftigten sich vergangene Woche im Rahmen der jährlichen Konferenz der Finanzmarktaufsicht (FMA) mit den seriellen Herausforderungen, die nach der Covid-Pandemie im Jahr 2020 die Situation weiter verschärft haben. Hauptsprecherin Verena Ross, Chefin der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA, betonte, dass Extremsituationen wie Pandemie, Krieg oder Inflation durch nicht aufhaltbare Trends wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Bevölkerungsalterung verschärft werden. Was wir uns unter "Business as usual" vorstellen, werde sich in Zukunft komplett verändern, so Ross. 

Als Aufseherin beschäftigt Ross momentan besonders der Derivatehandel am Energie- und Rohstoffmarkt. Wo Energiefirmen durch die Preisspitzen unter Druck geraten, müsste der Handel durch gezielte Eingriffe stabilisiert und damit die Volatilität aus den Absicherungsgeschäften genommen werden. Ross monierte unter anderem, dass es angesichts der enormen Preisturbulenzen im Energiehandel nur sehr selten zu Handelsstopps gekommen sei. Rahmenwerke wie Mifid II sehen solche Maßnahmen eigentlich ausdrücklich vor.  

Zweit- und Drittrundeneffekte sowie gesellschaftliche Verwerfungen
Auch FMA-Vorstand Eduard Müller verwies auf die Komplexität der momentanen Situation, in der sich vergangene und neue Herausforderungen mischen: Zwar sei nach der Covid-Pandemie durch aktives politisches und regulatorisches Handeln eine direkte Ansteckung der Finanzmärkte vermieden worden. "Gesellschaftspolitisch hat das Virus aber viele Spuren hinterlassen", so Müller. Die Zweit- und Drittrundeneffekte könnten noch um einiges dramatischer werden, sagte der FMA-Vorstand.

Dass langfristige Herausforderungen wie Klimawandel oder Digitalisierung trotz der momentan dominierenden geopolitischen Lage nicht beiseite geschoben werden dürfen, betonten in weiteren Diskussionsrunden die anwesenden Bankenvertreter. Nachhaltigkeit sei für seinen Aufgabenbereich ein größeres, weil bleibendes Problem als der Krieg, sagte etwa Florian Hagenauer, Vorstandsdirektor der Oberbank. Die gesamte Bankbelegschaft müsse sich in diesem Thema auskennen. Mit großen Industriebetrieben über Nachhaltigkeit zu reden, sei heute keine Herausforderung mehr, mit den vielen kleinen Firmenkunden jedoch sehr wohl noch immer.

Pilot für Gold-Tokenisierung
Deutlich wurde bei der Aufsichtskonferenz auch, dass die Banken nicht mehr um Blockchaintechnologien umhinkommen. In einer Diskussion über Digital Assets berichtete Marcus Presich, Geschäftsführer der Raiffeisen Analytik, über ein gerade laufendes Pilotprojekt zur Tokenisierung von Gold. "Das hat klare Vorteile zu einem Zertifikat. Wir sehen heute schon einige Usecases bei Blockchainanwendungen, die wirklich Bestand haben", so Presich.

Das wiederum ruft die Aufsicht auf den Plan, die sich die Ausgestaltung solcher Produkte genau ansehen wird, wie Birgit Puck, Bereichsleiterin Wertpapieraufsicht der FMA, sagte. Sie betonte, dass die FMA die Neuerungen unter dem Aspekt der Technologieneutralität betrachtet. "Für uns ist die Frage, was steht hinter Begriffen wie Token. Die Hülle ist nicht entscheidend. Wir schauen, ob sich dahinter ein verpacktes Forderungenrecht versteckt oder ein Sachrecht. Das macht einfach einen großen Unterschied für die Kunden", so Puck.

DLT-Pilot-Regime kommt schon 2023
Sie machte auf die DLT-Pilot-Regime-Verordnung der EU aufmerksam, die öffentlich bisher kaum Beachtung findet. Die Verordnung ermöglicht es bereits im ersten Quartal 2023, dass Unternehmen wie Wertpapierfirmen, Börsen oder Zentralverwahrer ihre Marktinfrastruktur nach EU-Regeln über Blockchaintechnologien betreiben. Puck betonte, dass die Aufsicht auf Transparenz achte. "Wenn wir sehen, dass eine Hülle verwendet wird, etwas zu verstecken, dann gehen wir genau so vor, wie wir das im traditionellen Bereich machen", so die Expertin.

Problemlösungskompetenz brauchen Aufseher und Regulatoren künftig voraussichtlich auch bezüglich der EU-weiten Bankenunion. Diese ist teils ins Stocken geraten. Andrea Enria, Vorsitzender des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) der Europäischen Zentralbank (EZB), betonte, dass man statt eines europaweiten Geschäftsausbaus in den vergangenen Jahren vielmehr das Gegenteil beobachten konnte, nämlich, dass Banken ihr ausländisches Geschäft wieder verkauft haben. "Banken haben auf europäischer Ebene oft nicht reüssiert", so Enria. Man müsse ein besseres Umfeld schaffen, insbesondere wenn es um das Geschäft für Retailanleger geht.

Ettl: Österreich hat von Bankenunion nur bedingt profitiert
FMA-Chef Helmut Ettl sprach ebenfalls von Rückschritten. Aus österreichischer Sicht könne man ohnehin hinterfragen, wie weit der Markt etwas von der Bankenunion hatte, denn ein Großteil des grenzüberschreitenden Geschäfts hiesiger Institute findet in Ländern Zentral- und Osteuropas und damit außerhalb der Union statt. Er kritisierte darüber hinaus einmal mehr, dass eine Bankenunion ohne europaweite Einlagensicherung nicht vollständig sei. Welche Probleme dadurch entstehen, zeigte heuer die Beinahe-Pleite der in Österreich firmierenden Sberbank Europe: Die österreichische Einlagensicherung musste vorerst einspringen (bekam aber ihr Geld wieder zurück), obwohl fast das gesamte Geld deutschen Kunden gehörte.

Schuld an der nicht voranschreitenden Bankenunion seien nicht nur die Regulatoren, auch das Investorenumfeld habe sich geändert, betonte Willibald Cernko, CEO der Erste Group. Früher habe man sich oft über Jahre hinweg einen Markt erarbeitet, bis die Auslandsinvestition eine Verzinsung auf das Kapital brachte. "Heute muss ich binnen eines Jahres Mehrwert schaffen, der Investor will einfach nicht hören, dass ich sieben Jahre brauche, bis ich einen Return erwirtschafte", so Cernko. Auch die Einstellung der Politiker in Europa müsse sich ändern, der "Kantönligeist", wo jeder Finanzminister zulasten der gesamteuropäischen Idee nur auf seine nationalen Vorteile pocht, müsse enden. Hinderlich für ein florierendes grenzüberschreitendes Bankgeschäft sei außerdem das Goldplating (nationale Regulatoren, die höhere Standards, als von der EU vorgegeben, verlangen), so Cernko. (eml)