Wennn es um das Thema Nachhaltigkeit geht, werden Asset Manager und Banken nicht müde, ihre ethisch-ökologische Prinzipienfestigkeit und das Bekenntnis zur CO2-Reduktion zu betonen. Bei den Fonds-Neuvorstellungen liegen "ESG"-Aspekte seit Monaten ganz weit vorne. Doch wie steht es um die generelle Moral innerhalb der Branche selbst? Das will nun die EU-Börsenaufsichtsbehörde ESMA herausfinden.

Die Kapitalmarkt-Kontrolleure leiten erstmals eine formale Untersuchung ein, in der sie die "Integrität" der Finanzbranche prüfen möchten. Anlass sind die laufenden Untersuchungen zu diversen Cum-Ex- und Cum-Cum-Transaktionen, die über Jahre hinweg unter anderem zu milliardenschweren Steuerausfällen in Deutschland geführt haben. Der Verdacht liegt nahe, dass Finanzdienstleister nicht nur den bundesrepublikanischen Fiskus, sondern auch die Staatskassen anderer EU-Staaten geschädigt haben, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet.

Der Zeitung zufolge berufe sich die ESMA dabei auf Medienberichte aus dem Oktober 2018. Demnach haben die beiden oben genannten Modelle alleine die deutschen Steuerzahler um mindestens 55 Milliarden Euro gebracht. Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln daher gegen verschiedenen Unternehmen. Medienberichten zufolge sind rund 60 deutsche Banken betroffen. Unter anderem geriet auch der Vermögensverwalter Blackrock ins Visier.

EU-Behörde soll Steuermodell in Staaten der Union prüfen
Die in Paris ansässige Behörde hat nun einen Zwischenbericht vorgelegt, den das Europaparlament angefordert hatte. In diesem heißt es, dass es sinnvoll erscheine, die Branche insgesamt zu untersuchen – auch wenn es bisher keine eindeutigen Hinweise auf systematische Verstöße gegen einschlägige Regulierungen oder gar Gerichtsurteile gebe.

"Es ist aber eindeutig, dass die Steuermodelle an den Finanzmärkten praktiziert werden", zitiert die FAZ aus dem Bericht. Daher müsse sich die Finanzaufsicht einen Überblick verschaffen. Die ESMA soll klären, ob und inwieweit die Finanzbranche die Steuererstattungsmodelle weiterhin praktiziert oder sie systematisch gefördert hat. Es bestehe der Verdacht, dass Cum-Cum- und Cum-Ex-Modelle auch in anderen EU-Staaten praktiziert würden, "möglicherweise aber anders strukturiert". 

ESMA soll auch Bafin & Co. prüfen
Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold begrüßt die Untersuchung und kritisierte zugleich die deutschen Behörden. "Die ESMA handelt, während die deutsche Finanzaufsicht Bafin und das Bundesfinanzministerium viel zu lange dem Betrug am Fiskus zuschauten", sagte Giegold der FAZ. Die Börsenaufsicht müsse auch prüfen, ob nationale Aufseher ihre Pflichten verletzt hätten. 

Die umstrittenen Modelle beziehen sich auf Transaktionen, bei denen verschiedene Banken und Investoren – beisspielsweise Asset Manager – die Papiere kurz vor dem Stichtag mit (cum) und kurz danach ohne (ex) Dividende handelten. Dabei wurde die Dividendensteuer vom Fiskus mehrfach erstattet, obwohl sie nur einmal abgeführt worden war (siehe auch die ausführliche Beschreibung bei FONDS professionell ONLINE) Die Cum-Ex-Geschäfte wurden in Deutschland bis zu einer Gesetzesänderung im Jahr 2012 legal praktiziert, Cum-Cum-Modelle wurden erst 2015 höchstrichterlich verboten. (jb)