Anleger, die in einen ESG-ETF nach Artikel 9 SFDR investieren wollen, werden in die Röhre schauen, wenn die Anforderungen von Level 2 der technischen Regulierungsstandards der Offenlegungsverordnung wie geplant am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Davon jedenfalls geht Detlef Glow, Head of Lipper EMEA Research, aus. "Generell sieht es so aus, als ob die Strenge der Level-2-Anforderungen die Vermögensverwaltungsbranche überrascht hat, da wir nach der Ankündigung der technischen Regulierungsstandards eine Welle von Umklassifizierungen von ETFs und Investmentfonds von Artikel 9 zu Artikel 8 der SFDR erlebt haben", schreibt der Experte in einem Beitrag auf der Plattform "Linkedin".

Das gelte insbesondere für das Segment der Aktien-ETFs, da selbst eine Angleichung an die EU-Klima-Benchmarks (Paris-Aligned Benchmark, PAB, und Climate Transition Benchmark, CTB) nicht auszureichen scheine, um die Anforderungen an ein Artikel-9-Produkt zu erfüllen. "Es ist daher zu erwarten, dass nach dem 1. Januar 2023 kein Aktien-ETF, der als Artikel-9-Produkt klassifiziert ist, zum Vertrieb in Europa zugelassen sein wird", so Glow. Er kommt zu dem Schluss, dass europäische Anleger mit einer Unterbrechung ihrer Lieferkette rechnen müssen, da es möglicherweise keine oder nur eine sehr begrenzte Anzahl passiver Optionen für Artikel-9-Fonds für ihre Portfolios geben werde.

Zu viel des Guten oder nur ein vorübergehendes Problem?
"Sind die EU-Kommission und die ESMA mit den Anforderungen für Artikel-8- und Artikel-9-Produkte im Rahmen der SFDR zu weit gegangen, oder ist es notwendig, so strenge Regeln einzuführen, um Greenwashing zu verhindern?", fragt Glow seine Follower. Philip Kalus, Chef der Beratungsfirma Accelerando Associates, geht davon aus, dass die immense Zahl an jüngst zu beobachtenden Umklassifizierungen von Artikel 9 in Artikel 8 eher einer Art Präventivmaßnahme der Asset Manager geschuldet sind. "Es gibt immer noch keine wirkliche Klarheit in Bezug auf definitorische Aspekte und Berechnungsmethoden für nachhaltiges Engagement", so Kalus, "und die immer noch mangelnde Verfügbarkeit von Emittentendaten stellt für die Branche nach wie vor ein großes Problem dar."

Dass deshalb nun alle Fonds unter Artikel 8 fallen sollen, sei natürlich ein unerwünschtes Ergebnis, ist Kalus überzeugt. Denn eine Einordnung nach Artikel 8 werde dann ja so gut wie bedeutungslos angesichts eines extrem breiten Spektrums an "ESG-Strenge" innerhalb des Produktuniversums. Andreas Hoepner, Professor für Banking & Finance am University College Dublin, geht davon aus, dass die Unterbrechung der Produktlieferkette nur vorübergehend sein wird. "Denn die Mindeststandards der Paris-Aligned Benchmark in Verbindung mit dem Nachweis einer guten 'Governance' entsprechen im Grunde ziemlich genau den Anforderungen von Artikel 9 der Offenlegungsverordnung." (hh)