Eine Studie mit dem Titel "ETF Heartbeat Trades, Tax Efficiencies, and Clienteles: The Role of Taxes in the Flow Migration from Active Mutual Funds to ETFs" wirft ein neues Licht auf die bisherige Entwicklung der ETF-Szene, insbesondere in den USA. Die Ausarbeitung dreier Finanzwissenschaftler kommt nämlich zu dem Schluss, dass der enorme Absatzerfolg von Exchange Traded Funds (ETF) weniger mit den gängigen Argumenten in Verbindung steht, sondern steuerorientiert war, weil amerikanische ETF-Anbieter mit Hilfe einer Gesetzeslücke aus dem Jahr 1969 insbesondere vermögenden Anlegern Steuervorteile in Milliarden-Höhe bieten (FONDS professionell ONLINE berichtete). Wir haben darüber mit dem Anlage- und Steuerexperten Andreas Beys von Sauren Fonds Research gesprochen.


Herr Beys, Sie haben sich die US-Studie genauer angeschaut. Die Ergebnisse betreffen in erster Linie nur den US-Markt. Können Sie uns kurz erläutern, weshalb die Analyse auch für den deutschen Investmentmarkt von Bedeutung sein kann?

Andreas Beys: Im Rahmen des Diskurses zum Thema "aktiv versus passiv" werden häufig die enormen Absatzzahlen der ETFs in den USA als eine Art Erfolgsnachweis angeführt, nach dem Motto: "Die Amerikaner haben es schon längst verstanden - Kauft ETFs anstatt überteuerte aktiv verwaltete Investmentfonds." Insbesondere Menschen, die schlechte Erfahrungen mit der klassischen Fondsindustrie gemacht haben, sind in Sachen Kosten empfänglicher für entsprechende ETF-Thesen. Und diese Empfänglichkeit erhöht sich, wenn sie sehen, dass eine immer größere Zahl von Menschen diesen neuen Thesen folgen. Die Absatzerfolge in den USA werden daher mit schöner Regelmäßigkeit auch in Europa verbreitet. Das Interessante an der Studie aber ist die Feststellung der Autoren, dass der Absatzerfolg von ETFs in den USA seit 2008 weitestgehend einen steuerlich getriebenen Hintergrund hat und der allgemeine Verweis auf den Absatzerfolg eigentlich irreführend ist.

Bevor wir auf die Ergebnisse weiter eingehen: Haben Sie ein Beispiel für ihren Verweis auf die EU-Politik?

Beys: Im Altersvorsorgeausschuss des BVI beschäftigen wir uns schon seit geraumer Zeit mit einem neuen europäischen privaten Altersvorsorgeprodukt, das ab März 2022 angeboten werden könnte. Als Vorgabe hat die EU-Kommission für derartige Produkte erstmals einen Kostendeckel von einem Prozent definiert. Dieser Ein-Prozent-Kostendeckel soll neben den Administrationskosten auch die Vertriebsgebühren einschließlich Beratungskosten sowie die Kosten der Vermögensverwaltung inklusive Verwahr- und Transaktionskosten umfassen. Diese Einschränkung seitens der EU Kommission sind in der Praxis nur umsetzbar, wenn das Portfoliomanagement die Kundengelder mit Hilfe von Index-ETFs anlegt. Im Grunde sagt die Politik damit indirekt, aktive Investmentfonds benötigen wir nicht für die Altersvorsorge der EU- Bürger. Sie mischt sich in etwas ein, was weder Anleger noch Produktanbieter wollen. Natürlich sollen die Produkte nicht zu teuer sein, aber hier ist der Weg der Kostentransparenz sinnvoller. Wenn Kosten transparent sind, müssen die entsprechenden Dienstleister die Mehrwerte ihrer gegebenenfalls teureren Dienstleistungen erklären können. Es ist bedenklich, dass hier indirekt die ETF Branche subventioniert wird. Insbesondere mit Blick auf die angesprochene Studie aus den USA wären die entsprechenden Politiker jedoch vielleicht gut beraten, die Betrachtungsweise in Sachen ETF neu zu überdenken.

Warum?

Beys: Die US-Wissenschaftler haben festgestellt, dass ETFs in den USA konzeptbedingt über Steuervorteile gegenüber offenen Investmentfonds verfügen und diese künstlich mittels sogenannter "Heartbeat-Trades" für Anleger optimiert und maximiert haben. Gerade Berater vermögender Anleger haben diesen 'Elfmeter' dankend angenommen. Normalverdiener dagegen können von diesem Steuervorteil aus bestimmten Gründen kaum profitieren. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass in den Portfolien vermögender Anleger die ETF-Gewichtung seit 2008 von circa drei auf mehr als 20 Prozent erhöht wurde, während die Portfolien von Normalverdienern weiterhin nur gering gewichtete ETF-Allokationen von rund fünf Prozent aufweisen. Dem amerikanischen Fiskus entgehen so jährlich mehrere 100 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen.

Wollen Sie damit sagen, dass diese Gruppe vermögender Anleger den ETF-Absatzboom in Höhe von circa einer Billion US-Dollar seit 2008 ausgelöst hat, und das zu Lasten aktiver offener Fonds?

Beys: So ist es. Die Studie zeigt auf, dass der Betrag, den aktive Fonds an ETFs verloren haben, ziemlich genau dem Betrag entspricht, um den vermögende Anleger ihren ETF-Anteil zu Lasten aktiv verwalteter Fonds erhöht haben. Im Umkehrschluss heißt das: Ohne das Steuergestaltungsangebot würde die ETF-Welt wahrscheinlich auch in den USA immer noch eher ein Nischendasein fristen wie in Europa, und insgesamt wäre deutlich weniger Dynamik in diesem Markt.

Aber die klassischen Argumente der ETF Branche sind doch durchaus diskutabel. Oder soll man die wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu etwa ignorieren?

Beys: Natürlich nicht. Aber die wissenschaftlichen Ergebnisse sind nur ein Mosaikstück von vielen. In allen Bereichen des Lebens sollte immer eine ausgewogene Betrachtung der Dinge im Vordergrund stehen.

Welche Aspekte sollten denn auch berücksichtigt werden?

Beys: Ein ganz wichtiger Faktor wird in der Diskussion aktiv versus passiv seit Jahren übersehen. Nämlich die jeweils unterschiedlichen Anlageziele beziehungsweise der jeweils unterschiedliche Anlageschwerpunkt entsprechender Indizes beziehungsweise aktiv verwalteter Investmentfonds. So wie es in der Indexwelt und auch mittlerweile in der ETF-Welt tausende unterschiedliche Varianten gibt, so gibt es auch in der aktiven Welt die verschiedensten Ausrichtungen. Wenn die DWS 57 verschiedene globale Aktienfonds anbietet, darf man das nicht so interpretieren, dass sie mit 57 Ansätzen versucht, den MSCI World zu schlagen ...

… sondern?

Beys: Der eigentliche Grund für die Vielfalt sind die unterschiedlichen Anlegerinteressen. Man kann natürlich diese verschiedenen Ansätze in Sachen Wertentwicklung miteinander vergleichen. Nicht gelingen kann hier aber, anhand quantitativer Daten eine abschließende Feststellung zu treffen, wonach die besseren oder schlechteren Performanceergebnisse in erster Linie mit den Kosten oder den Managerfähigkeiten in Verbindung stehen. Einen viel größeren Anteil hat der Effekt der unterschiedlichen Ausrichtung von Index- oder Fondsprodukt. Um genau zu verstehen, wie stark der Einfluss der Kosten und die Fähigkeiten der Fondsmanager ist, muss man tiefer bohren, am besten im persönlichen Kontakt mit den Fondsmanagern. Die typischen Fondsvergleiche können aus meiner Sicht sogar irreführend sein. Sie können maximal als erster Hinweis dienen, reichen aber auf keinen Fall für eine abschließende Bewertung aus. Das gilt übrigens auch für wissenschaftliche Vergleichsbewertungen.

Aber wird die Aktiv/Passiv-Debatte nicht auch deshalb falsch geführt, weil es passives Anlegen in dem Sinne eigentlich gar nicht gibt. Wenn wir uns jene Finanzdienstleister anschauen, die ihre Kundengelder mit Hilfe von ETFs verwalten, so findet dabei doch ein aktives Management, wenn auch auf Basis passiver Instrumente, statt.

Beys: Vollkommen richtig, das Interessante dabei ist: Vordergründig argumentieren Anbieter fast alle ähnlich mit den üblichen Aspekten, um dann mit Hilfe von passiven Bausteinen aktive Anlageentscheidungen zu treffen, entweder regelmäßig oder zumindest einmal bei der Zusammenstellung des Portfolios. Fondsconsult hat gerade seine dritte Roboadvisor-Studie veröffentlicht und erstmalig auch die Wertentwicklungsergebnisse der noch jungen Verwaltergeneration dargestellt. Diese sind enorm. Das zeigt: Die Produktkosten sind nicht das eigentliche Thema, sondern die Fähigkeiten derer, die Vermögen verwalten. Aus diesen Gründen sollten eben auch politische Kostenbeschränkungen von Anlageprodukten beziehungsweise Altersvorsorgeprodukten vermieden werden. Geringe Produktkosten führen eben nicht zu höheren Renditen für den Anleger. Vielmehr kommt es auf die langfristigen Qualitäten des Verwalters an.

Vielen Dank für das Gespräch. (hh)