Eine massive Welle von Herabstufungen bei Europas Top-ESG-Kennzeichnung für Fonds könnte wieder rückgängig gemacht werden, schreibt die Nachrichtenagentur "Bloomberg" unter Verweis auf das Analysehaus Morningstar. Ende 2022 wurde bei Fonds im Volumen von 175 Milliarden Euro die Einordnung als Artikel-9-Produkt gestrichen. Diese Umklassifizierungen scheinen angesichts der neuen Leitlinien der Europäischen Kommission unnötig gewesen zu sein, meint Hortense Bioy, Global Director für Sustainability Research bei Morningstar.

Die Verwerfungen im vergangenen Jahr haben Anleger wie Regulierungsbehörden veranlasst, die grundlegende Konstruktion des Regelwerks für ökologische, soziale und Governance-Investitionen in Frage zu stellen, das Europa vor mehr als zwei Jahren in Kraft gesetzt hat. Die Offenlegungsverordnung (SFDR), von der die EU-Behörden gehofft hatten, dass sie als globaler Standard dienen würde, wurde seit ihrer Durchsetzung einer Reihe von Aktualisierungen unterzogen, um eine scheinbar endlose Liste von Mängeln zu beheben. "Einige Marktteilnehmer werden das für einen absoluten Zirkus halten", sagt Bioy. Es sei nicht klar, warum die EU-Kommission "so lange warten" musste, um grundlegende Fragen zu Artikel 9 zu klären.

Viele ETFs betroffen
Die Herabstufungen, bei denen etwa Blackrock und Amundi etliche Artikel-9-Fonds in die schwächere ESG-Stufe der Artikel-8-Produkte einordneten, betrafen unverhältnismäßig stark passive Strategien. Die Verwirrung setzte im vorigen Jahr ein, als der Markt und sogar die Aufsichtsbehörden um die Auslegung der bestehenden Regeln rangen. Passive Fonds, die von Artikel 9 auf Artikel 8 herabgestuft wurden, weil sie an den Pariser Klimaschutzzielen und an der Klima-Transition orientierte Benchmarks nachverfolgten, "müssen nun möglicherweise als Artikel 9 reklassifiziert werden", meint Bioy.

In einem Ende Januar veröffentlichten Bericht schätzte Morningstar, dass 90 Prozent der herabgestuften Artikel-9-Finanzanlagen aus Aktienstrategien bestanden, von denen fast die Hälfte auf Paris und die Klima-Transition ausgerichtete Benchmarks abbildeten.

Offenlegungsverordnung "neutral" bei Gestaltung von Finanzprodukten
In ihren neuen Leitlinien, die am Freitag (14.4.) veröffentlicht wurden, erklärte die EU-Kommission, dass die Offenlegungsverordnung "neutral" sei, wenn es um die Gestaltung von Finanzprodukten gehe, und dass Investitionen, "die eine Reduzierung der CO2-Emissionen zum Ziel haben, daher in den Anwendungsbereich von Artikel 9 fallen können". Dies gelte "unabhängig davon, ob sie eine passive oder aktive Anlagestrategie verfolgen", so die Kommission.

Die jüngsten Klarstellungen der EU-Kommission zielen auch darauf ab, die seit Langem bestehende Frage zu klären, wie man eine nachhaltige Investition definiert. Die Tatsache, dass die EU es bisher versäumt hat, klare Parameter für ein solch zentrales ESG-Konzept vorzugeben, hat Kritik hervorgerufen, da man sich Sorgen über Greenwashing macht. Die Kommission erklärte, sie werde keine Mindestschwellen vorschreiben und es stattdessen den Marktteilnehmern überlassen, nachzuweisen, dass ihre Angaben fair sind. Gleichzeitig warnte sie davor, dass der Offenlegungsrahmen von den Marktteilnehmern "mehr Verantwortung" verlange.

"Wesentliche fundamentale Mängel in der Grundstruktur"
"Für die Anleger bedeutet das Fehlen expliziter regulatorischer Standards einen erhöhten Zeit- und Arbeitsaufwand bei der Suche nach Finanzprodukten, die sowohl ihren Nachhaltigkeitsvorstellungen entsprechen als auch sie vor Greenwashing schützen", so Stephan Kippe, Analyst bei Commerzbank Research. "Im Prinzip sehen wir die Klarstellungen der Kommission als positiv an", sagte er. "Aber sie versäumen es immer noch, wesentliche fundamentale Mängel in der Grundstruktur der SFDR-Regelung zu beheben." (mb/Bloomberg)