"Wir bauen die Zukunft der Kapitalanlage." Der Slogan, mit dem Ultramarin auf der Homepage wirbt, zeugt von gesundem Selbstbewusstsein. Gegründet 2017 in Berlin von Mathias Eitz, Ronald Richter und Daniel Willmann unter dem Namen Othoz, beschäftigt das Unternehmen mittlerweile 30 Mitarbeiter in der deutschen Hauptstadt, München und Frankfurt. Das Team möchte künstliche Intelligenz nutzen, "um für unsere Kunden an Kapitalmärkten Mehrwerte zu erschließen", wie es auf der Website heißt.

Die Kunden – das sind in diesem Fall vor allem institutionelle Investoren, die beispielsweise Spezialfondsmandate von Ultramarin betreuen lassen. Doch auch das Wholesale-Geschäft könnte ausgebaut werden, wie Julien Jensen, der seit 2018 als Executive Director die Bereiche Business Development und Fondsmanagement von Ultramarin mitverantwortet, im Gespräch mit FONDS professionell ONLINE in den Frankfurter Büros des Anbieters andeutet. Drei Publikumsfonds, die in Österreich allerdings nicht vertrieben werden, managt Ultramarin schon: Bei den defensiven Mischfonds Art AI Euro Balanced und Art AI US Balanced steuert die KI die Aktienquote zwischen null und 50 Prozent und versucht, die attraktivsten Titel aus dem Euro Stoxx respektive dem S&P 500 auszuwählen. Beim AI US Dynamic, der ebenfalls auf die amerikanische Börse abstellt, kann das Modell die Aktienquote sogar zwischen null und 100 Prozent schwanken lassen. In Summe verwalten diese in den Jahren 2018 und 2019 aufgelegten Fonds rund 45 Millionen Euro. Zum Volumen der anderen Mandate macht das Unternehmen keine Angaben.


Herr Jensen, Ultramarin verantwortet seit rund fünf Jahren drei Mischfonds, die von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden. Wo genau kommt Ihre KI zum Einsatz – und was tut sie?

Julien Jensen: Wir setzen in zwei Bereichen auf KI, in der Aktienselektion und in der Aktienquotensteuerung. Bei der Aktienselektion geht es darum, die attraktivsten Titel aus einem bestimmten Universum, etwa dem S&P 500, zu finden, beispielsweise gemessen an der erwarteten Rendite für den nächsten Monat. Das Modell speist sich aus vier Datenblöcken. Das sind erstens klassische Fundamentaldaten, wie wir sie von Benjamin Graham oder Warren Buffett kennen. Zweitens füttern wir der KI Marktinformationen, also beispielsweise Aktienkursentwicklung und Volatilitäten sowie Daten rund um Faktorprämien wie Value, Growth, Momentum. Hinzu kommt drittens der Bereich ESG. Da geht es etwa um die Frage, wie ESG-Ratings die Aktienkursentwicklung beeinflussen. Der letzte Block besteht aus aktuellen firmenspezifischen Nachrichten sowie Analysteneinschätzungen. Die Auswahl und Aufbereitung der Daten sind entscheidend für den Anlageerfolg. Wir möchten nur Daten verwenden, die valide sind und ein ökonomisches Fundament haben.

Die Frage, wie diese Daten zu interpretieren sind, überlassen Sie aber der KI? Oder schreiben Sie Ihrem Modell beispielsweise vor, dass ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis positiv zu werten ist?

Jensen: Nein, solche Zusammenhänge soll die KI eigenständig erkennen, da machen wir keine Vorgaben. Ihr Hauptvorteil ist ja gerade, dass sie gut mit großen Datenmengen umgehen und Muster erkennen kann. Hinzu kommt der Charme, dass sie, anders als ein klassisches Quantmodell, flexibler bleibt. Beispielsweise könnte die KI mal den Faktor Growth höher gewichten, in einem anderen Marktumfeld dann aber eher auf Value setzen.

Sie sagten, die KI-Prognosen zielen auf die erwartete Rendite des nächsten Monats ab. Warum so kurzfristig?

Jensen: Wir können auch andere Prognosezeiträume wählen, beispielsweise drei oder sechs Monate. Allerdings ist ein Monat gar nicht so kurzfristig, denken Sie nur an die ganzen High-Frequency-Trading-Ansätze. Dafür wären die Kursdaten, die wir der KI füttern, womöglich auch geeignet. Die Fundamentaldaten wiederum ändern sich seltener, was für einen längeren Zeitraum spräche. Insgesamt hat sich gezeigt, dass ein Monat eine gute Lösung ist. Der Turnover unserer Strategien liegt bei circa 70 bis 350 Prozent im Jahr. Das heißt, dass es zwar durchaus Transaktionen gibt, wir unsere Portfolios aber keineswegs jeden Monat komplett umschichten.

Wenn die KI die vielversprechendsten Aktien gefunden hat: Was passiert im nächsten Schritt?

Jensen: Die KI erstellt eine Art Ranking mit allen Aktien des Anlageuniversums. Dieses Ranking ist dann Ausgangspunkt einer quantitativen Portfoliooptimierung, sprich wir optimieren das Portfolio nach verschiedenen Gesichtspunkten wie dem angestrebten Rendite-Risiko-Profil sowie Sektor- und maximaler Einzeltitelgewichtung. Je nach Mandat können wir Nebenbedingungen berücksichtigen, beispielsweise ESG-Präferenzen. Jede Woche wird überprüft, ob das Portfolio rebalanciert werden sollte. Dabei berücksichtigen wir auch die voraussichtlichen Handelskosten. So kommt es, dass ein Portfolio mal über mehrere Wochen nicht angefasst wird, mal aber auch 20 Transaktionen vorgeschlagen werden.

Sie sprachen einen weiteren Bereich an, in der eine KI zum Einsatz kommt: die Aktienquotensteuerung.

Jensen: Genau. Um diesen Bereich kümmert sich ein eigenständiges Team, weil der Daten-Input ein völlig anderer ist. Zum Tragen kommen vor allem makroökonomische Daten wie die Entwicklung der kurzfristigen Zinsen, der Zinsstruktur oder der Rohstoffmärkte.

Konnte sich Ihre KI in diesem Segment denn bewähren? Sprich: Hat sie die Aktienquote zum richtigen Zeitpunkt gesenkt und wieder erhöht?

Jensen: Wie groß der Mehrwert ist, kann ich Ihnen ehrlicherweise noch nicht seriös beantworten. Rund um den Corona-Crash hat das Modell gute Ergebnisse geliefert. Aber das war ja ein singuläres Ereignis und hat daher eine begrenzte Aussagekraft. Bei der Aktienselektion blicken wir dagegen auf genügend Transaktionen zurück, um behaupten zu können, dass die KI einen echten Mehrwert liefert.

Wissen Sie denn, warum die KI zu der Entscheidung kam, dass Aktie A gerade attraktiver ist als Aktie B? Oder ist das eine Blackbox?

Jensen: Nein, bei uns ist KI keine Blackbox. Wir können zu jedem Zeitpunkt und auch im Nachhinein für jede Aktie im Portfolio nachvollziehen, welche Faktoren den Ausschlag für eine Empfehlung gaben. Diese Transparenz ist uns wichtig.

Ist es eigentlich leichter geworden, frisches Geld einzuwerben, seitdem KI dank ChatGPT und Co. nun in aller Munde ist?

Jensen: Die erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema ist für uns Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite profitieren wir natürlich davon, weil wir uns glaubhaft als Vorreiter in diesem Segment präsentieren können. Zum anderen zaubern nun viele Anbieter plötzlich KI-Lösungen aus dem Hut. Unser Anwendungsfeld kann keinen einfachen Wow-Effekt wie ChatGPT bieten, bei dem jedem schlagartig bewusst wird, was eine künstliche Intelligenz leisten kann. Dementsprechend sollten sich auch Investoren die Zeit nehmen und kritisch differenzieren, bei welchen Strategien der Einsatz von KI im Investmentprozess tatsächliche Mehrwerte generiert.

Ihr Unternehmen hat als Kapitalgeber Business Angels und Venture-Capital-Investoren an Bord. Könnte der aktuelle KI-Hype für sie nicht ein guter Anlass sein, ihre Anteile mit Gewinn an einen großen Asset Manager weiterzureichen, der den KI-Trend bislang verschlafen hat?

Jensen: Das ist kein Szenario, auf das wir hinarbeiten würden. Ganz im Gegenteil: Wir haben in den vergangenen Jahren unheimlich viel Arbeit in die Entwicklung unserer Modelle und des Unternehmens gesteckt und brennen wirklich darauf, einem deutlich größeren Publikum zu zeigen, welchen Mehrwert KI im Asset Management bieten kann. So werden wir im ersten Quartal nächsten Jahres unsere Produktpalette erweitern, denkbar wäre zum Beispiel eine marktneutrale Strategie. Wir denken auch darüber nach, uns verstärkt im Wholesale-Segment zu engagieren. Das Geschäft mit institutionellen Investoren soll ebenfalls deutlich wachsen, hier können wir mit der Modularität unserer Plattform punkten, die sich gut für individuell konzipierte Spezialfonds nutzen lässt. Das alles würden wir nicht tun, wenn es uns nur darum ginge, bald von einem großen Asset Manager aufgekauft zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch. (bm)