Die Preise für europäische CO2-Zertifikate sind deutlich eingebrochen. Von knapp über 100 Euro je Zertifikat vor einem Jahr sackte der Preis im Tief vor wenigen Wochen auf 52,45 Euro. Aktuell pendeln die Zertifikate um die 60-Euro-Marke. Der Preisrückgang macht es nicht nur für die Firmen günstiger, CO2 zu emittieren – er hinterlässt auch Spuren in zahlreichen Portfolios: Denn zuletzt haben immer mehr Anleger CO2 als Anlageklasse entdeckt. Ob und wann die Kurse wieder anziehen, hängt von mehreren Faktoren ab. 

Der europäische Emissionshandel gilt seit 2005 als wichtigstes Instrument der EU, um den CO2-Ausstoß über den Marktmechanismus zu drosseln. Firmen energieintensiver Industrien wie Energie und Luftverkehr müssen für jede Tonne in die Atmosphäre gegebenes Kohlendioxid ein CO2-Zertifikat einlösen. Diese Zertifikate werden teils kostenfrei, teils über Versteigerungen direkt an die Firmen ausgegeben, aber auch am Sekundärmarkt an Börsen gehandelt. Die EU drosselt die Zuteilung langfristig, mit der Verknappung soll der Preis steigen und Luftverschmutzung teurer werden – so teuer, dass die Firmen ihre Emissionen im Einklang mit den EU-Zielen reduzieren. 

Immer mehr Anleger entdecken CO2 als Anlageklasse
Da hohe Nachfrage und das sinkende Angebot auch aus Sicht von Finanzinvestoren interessant sind, nahm das Angebot an Anlagemöglichkeiten deutlich zu. So bieten unter anderem Xtrackers und Wisdom Tree physisch hinterlegte ETCs auf den CO2-Preis an, und auch einige Publikumsfonds investieren meist mit kleineren Allokationen. Daher machte sich der Preisrückgang in vielen Portfolios mehr oder weniger stark bemerkbar: So sank der Preis des Xtrackers Physical Carbon EUA ETC seit dem Listing im November 2023 um bis zu 30 Prozent.

Für den Rückgang des CO2-Preises machen Experten zum einen die Konjunkturschwäche und den deutlichen Einbruch der Industrieproduktion in der Eurozone verantwortlich. "Das führt natürlich zu weniger CO2-Ausstoß", erklärt Portfoliomanager Johannes Maier von Bantleon. Dazu kommen der milde Winter und volle Gaslager. "Der CO2-Ausstoß bei der Stromerzeugung im Jahr 2023 ist um 23 Prozent zurückgegangen – so viel wie noch nie zuvor", sagt Maier. Dazu komme der insgesamt deutlich "grünere" Strommix. 

Zugleich wurde das Angebot hochgefahren: Denn die EU hatte 2023 beschlossen, den Verkauf von Zertifikaten vorzuziehen, um einerseits die stark gestiegenen Energiepreise zu drücken und andererseits eigene Ausgaben zu finanzieren. Auch das setzte den Marktmechanismus kurzzeitig aus, erläutert Maier. Allerdings gilt das nur für begrenzte Zeit: Da nämlich die Menge an insgesamt ausgegebenen Zertifikaten bis 2030 unverändert bleibt, wird das jährliche Reduktionstempo ab 2026 deutlich höher ausfallen als ursprünglich geplant. 

Mit Angebot und Nachfrage könnte der Preis bald drehen
Maier hält es daher für wahrscheinlich, dass der Preis mittelfristig wieder anzieht: "Käufer von Zertifikaten wie Versorger werden sich nicht erst im Jahr 2026 die Zertifikate für das Kalenderjahr sichern. Der Verknappungseffekt sollte sich bereits im Rahmen des Hedgings beginnen zu entfalten." 

Ähnlich sieht das Steffen Hörter, Geschäftsführer bei MR Investment Partners, wo man in institutionellen Strategien auf CO2-Zertifikate setzt. Auch er glaubt, dass viele CO2-Emittenten angesichts des Auslaufens der kostenlosen Zuteilungen und dem geplanten knapperen Angebot von Emissionsrechen seitens der EU strategische Absicherungen aufbauen werden. Hörter sagt: "Die derzeitigen Preise können ein guter Einstiegspunkt für Käufer sein, die strukturell zu wenig Emissionsrechte im Bestand haben und sich gegen künftige Compliance-Anforderungen absichern wollen." Dazu kommt die sogenannte Marktstabilitätsreserve, die dafür sorgt, dass jeder Überschuss an Emissionsrechten, der die Schwelle von 833 Millionen Tonnen übersteigt, in den kommenden Jahren vom Markt genommen wird.

Auch die Nachfrage dürfte mit besserer Konjunktur wieder anziehen. Hörter: "Unter der Voraussetzung, dass die europäische Klimagesetzgebung ihr Tempo beibehält und sich die wirtschaftliche Stimmung verbessert, bleiben die langfristigen positiven Aussichten für CO2-Emissionsrechte intakt." (jh)