Die Portfoliomanager von Comgest haben ein recht einfaches, aber einleuchtendes Bild von der Börse: Langfristig wird der Aktienkurs eines Unternehmens dem Gewinn folgen. Daher suchen die Pariser Geldprofis nach Firmen, die ein stetiges, gut prognostizierbares Ergebniswachstum aufweisen – und deren Aktien noch nicht zu hoch bewertet sind.

Diese auf den ersten Blick sehr simple Strategie geht seit Jahren auf. Comgest verwaltet inzwischen 15,5 Milliarden Euro, 11,1 Milliarden Euro davon in Schwellenländern. Ende 2009 legten die Franzosen einen Lateinamerikafonds auf. Dass der Comgest-Ansatz auch dort funktioniert, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Seit Auflage des Comgest Growth Latin America hat der Fonds 6,4 Prozent pro Jahr an Wert gewonnen, der Vergleichsindex dagegen nur 3,2 Prozent. Portfoliomanager Charles Biderman gab den Besuchern des FONDS professionell Kongresses in Wien am Donnerstagnachmittag einen Einblick, wie er und seine Kollegen bei der Aktienauswahl vorgehen.

70 Prozent Marktanteil bei Fernsehwerbung
Für einen Stockpicker wie Biderman ist Lateinamerika ein dankbares Pflaster. „Die Region hat sehr viele Krisen durchlebt, wirtschaftlich wie politisch“, berichtet er. „Die Unternehmen, die all diese Krisen durchstanden haben, sind gestärkt daraus hervorgegangen.“ Zu seinen Lieblingsfirmen zählen Konzerne, die unangefochtener Marktführer in ihrer Region sind, etwa Walmart de Mexico. Der mexikanische Ableger des US-Kaufhausriesen kommt inzwischen auf 25 Prozent Marktanteil – und steigert seit Jahren kontinuierlich Umsatz und Gewinn.

Ein weiteres Beispiel ist Televisa. Der Medienkonzern produziert unter anderem Seifenopern fürs Fernsehen. „In Lateinamerika spielen Telenovelas eine unglaublich große Rolle“, erzählt Biderman, der selbst einige Jahre in Argentinien studiert hat. „In Brasilien sind bei einigen Telenovelas die Einschaltquoten genauso hoch wie bei Fußballspielen – und das mag schon was heißen.“ In Mexiko vereinnahmt Televisa 70 Prozent aller TV-Werbeeinnahmen und verfügt daher über eine hohe Verhandlungsmacht.

Wenige Branchen dominieren MSCI Brazil
Gute Unternehmen findet Biderman auch in Brasilien, obwohl das Land mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. "Die Regierung hat es versäumt, in Infrastruktur und Bildung zu investieren und hat dadurch in vielen Bereichen an Wettbewerbsfähigkeit verloren", sagt Biderman. In den vergangenen beiden Jahren expandierte die Wirtschaft gerade mal um jeweils ein Prozent, der Aktienmarkt hinkte anderen Schwellenländerbörsen deutlich hinterher. "Im Jahr 2012 sind die Investitionen um vier Prozent geschrumpft, obwohl Fußball-WM und Olympia vor der Tür stehen", sagt Biderman und schüttelt den Kopf. Inzwischen habe die Regierung zwar erkannt, dass sie ihren Unternehmen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit helfen muss. Die Lösung mutet allerdings seltsam an: Die Politik hat die Preise für Öl oder Strom, die die Staatsunternehmen von der Privatwirtschaft verlangen darf, gekappt. "Im Ergebnis sind die Gewinne vieler Privatunternehmen tatsächlich gestiegen, Staatskonzerne wie Petrobras allerdings leiden", so Biderman.

Ein Blick auf den Länderindex von MSCI verstelle daher den Blick auf die wirklich interessanten Bereiche der brasilianischen Wirtschaft, ist Biderman überzeugt. Denn fast drei Viertel des Barometers machen Branchen aus, die von den staatlichen Interventionen betroffen sind, darunter Versorger oder der Telekomsektor. "Das ‚freie‘ Brasilien ist im Index kaum vertreten", so Biderman. "Darum spricht gerade in Brasilien sehr viel für aktives Fondsmanagement." Der Aktienprofi nennt einen weiteren Grund, der diese These stützt: Der Konsum, der für drei Viertel der Wirtschaftsleistung steht, macht im MSCI Brazil nur 15 Prozent aus. Sektoren wie Energie und Rohstoffe dagegen, die einen großen Teils ihres Geschäfts mit China machen, sind im Index mit fast 40 Prozent repräsentiert. "Wer schlicht den Index kauft, spekuliert auf ein weiteres Wachstum in China", warnt Biderman. (bm)