Es haftet ein erstaunlicher Kontrast am französischen Fondshaus Amundi. Innerhalb weniger Jahre haben sich die Pariser zum größten Vermögensverwalter Europas hochgearbeitet, haben durch Übernahmen in vielen Fondsmärkten rasch substanzielle Anteile erworben und setzen die Konkurrenz bei den Margen kräftig unter Druck. Dennoch kommen die wachstumsstarken Franzosen in der Außenwahrnehmung bisher ohne Dominanzgehabe, Eitelkeiten oder andere typische Begleiterscheinungen expansiver Finanzgesellschaften daher. Amundi hat keine schillernde Chefetage zu bieten wie manch ein US-Rivale. Vergebens sucht man in Auftritten des Managements auch die Überheblichkeit, wie man sie in den 2000er Jahren bei den erfolgsverwöhnten europäischen Großbanken oft sah. Selbst dem Headquarter in Paris ist die Erfolgsstory nicht auf die Fassade geschrieben. Sehr viel schmuckloser kann eine Glas-Beton-Burg nicht sein als die Zentrale am Bahnhof Montparnasse.

Das Unaufdringliche geht von oben aus. Wenn Amundi-Chefin Valérie Baudson, wie unlängst im Juni beim jährlichen Investmentforum in Paris vor Hunderten globalen Kunden spricht, benötigt sie an zwei Tagen nicht viel mehr als zehn Minuten am Podium, um ihre Botschaft herüberzubringen. Man hat schon weniger wichtige Konzernlenker mit mehr Geltungsbedürfnis gesehen. Ähnlich wie ihr Vorgänger Yves Perrier, dem sie 2021 nachfolgte, macht sich Baudson in den Medien rar. Doch im direkten Gespräch nimmt sie sich kein Blatt vor den Mund.

Strategische Autonomie
Deutlich mahnt Baudson die EU-Regulatoren, mehr auf die strategische Positionierung des Kontinents zu achten. Etwa, wenn es um das in vielen EU-Märkten historisch gewachsene und vorherrschende Provisionsmodell geht, bei dem Banken und Berater durch die Produktanbieter und nicht durch Kundenhonorare bezahlt werden. Die EU spielt in regelmäßigen Abständen eine Abschaffung durch und würde lieber ein Bezahlmodell sehen. "Wir sprechen in Europa momentan viel über strategische Unabhängigkeit. Ich denke, wir müssen auch die strategische Autonomie unseres Finanzsektors beachten. Wir brauchen starke europäische Banken und Vermögensverwalter, die die Unternehmen finanzieren und die Assets managen", so Baudson gegenüber der Redaktion.

In Großbritannien fiel durch ein vor gut einem Jahrzehnt eingeführtes Provisionsverbot eine breite Masse an Bankkunden aus der allgemein zugänglichen Finanzberatung, und der Absatz von Produkten ging zurück. "Ich bin dafür, dass die Gebührentransparenz verbessert wird. Aber in dieser Diskussion vergessen wir oft, dass im kontinentaleuropäischen Versorgungsmodell alle Kundengruppen in eine Universalbank gehen können und dort alle Finanzservices vom Kredit über die Versicherung bis zum Fonds bekommen, unabhängig davon, wie vermögend sie sind", so Baudson. Eine Disruption könne "gefährlich für Bank und Kunden" sein. "Wenn man das angelsächsische Modell in Europa einführt, wird man amerikanische Low-Cost-Produkte fördern und den Kunden eine Beratung mit Mehrwert vorenthalten", glaubt Baudson.

Zentralbanken als ETF-Kunden
Mit dem Stichwort "Low-Cost" spielt Baudson unter anderem auf ETFs und passive Anlagestrategien an – ein Segment, in dem Amundi selbst zu den größten Anbietern zählt. Kunden schätzen diese Produkte zunehmend, weil sie weniger Kosten verursachen als aktiv gemanagte Strategien. Die Franzosen deklarieren den Bereich als einen der wesentlichen langfristigen Geschäftstreiber; die Übernahme des ETF-Riesen Lyxor im Jahr 2022 dürfte noch nicht das Ende der Zukäufe gewesen sein. "Wir investieren viel in den Ausbau des passiven Managements. Es ist eine Expertise, die in der kommenden Dekade wahrscheinlich doppelt so schnell wachsen wird wie der aktive Anteil", erwartet Baudson.

Selbst für ETF-Spezialistin Baudson – sie hat die entsprechende Sparte bei Amundi aufgebaut – war der starke Zulauf in diesen Sektor teils erstaunlich. "Während wir in den vergangenen zehn Jahren vorwiegend professionelle ETF-Kunden wie Asset Manager oder Allokatoren hatten, bauen nun weitere Gruppen ihre passiven Strategien stark aus. Wir waren zum Beispiel selbst beeindruckt, wie viel von Zentralbanken in letzter Zeit in ETFs investiert wurde", so Baudson. Der Schritt liege jedoch auf der Hand: Zentralbanken könnten über ETFs schnell und unkompliziert Zugang zu einem Markt erlangen.

"Wir sehen vor allem in Deutschland einen sehr, sehr starken Trend"
Zum anderen setzt zunehmend das europäische Retail-Publikum auf ETFs. In den USA, wo ETFs Steuervorteile genießen, sind Endanleger ja bereits seit langem ein wichtiger Faktor. "Wir sehen vor allem in Deutschland einen sehr, sehr starken Trend, der während der Covid-Phase begonnen hat", so Baudson. Offenbar schafften es die deutschen Onlinebanken besser als andere, sich als Alternative zu den während der Pandemie geschlossenen Bankschaltern zu positionieren. In anderen großen Märkten wie in Italien sei der Pandemie-Effekt bei ETFs deutlich geringer ausgefallen. Österreich lag irgendwo in der Mitte. Für Amundi bedeutet der Zufluss aus dem Retail-Bereich jedenfalls, dass die Onlinebanken zum immer wichtigeren Vertriebspartnern werden. "Sie haben den ETF-Zulauf bei den Retail-Investoren ganz klar angekurbelt", so Baudson.

Mit sentimentalen Zahlenspielen, wann der ETF-Anteil die aktiv verwalteten Vermögen übertroffen haben könnte, hält sich Baudson nicht auf. "Um ehrlich zu sein, ist das nicht der Punkt. Das einzige, was uns antreibt, sind die Kundenbedürfnisse. Wenn unsere Kunden ETFs wollen, dann ist es unsere Aufgabe, das zu liefern", so Baudson. Von den 2,1 Billionen Euro, die Amundi momentan verwaltet, werden 370 Milliarden Euro in passiven Strategien gemanagt, darunter 230 Milliarden Euro in ETFs.


© Magali Delporte / Amundi

Zukäufe im Private-Asset-Geschäft
Es gibt aber auch kleinere Bereiche, von denen sich Amundi künftig hohe Wachstumsbeiträge erwartet. Allen voran Private Assets. Am Ausbau der Sparte, die inklusive Real Estate 75 Milliarden Euro groß ist, wird aktiv gearbeitet. Im April schloss Amundi die Übernahme des Schweizer Anbieters Alpha Associates ab, der in Private Equity, Private Debt und Infrastruktur über acht Milliarden Euro verwaltet und bei Versicherern und Pensionskassen im deutschsprachigen Raum verankert ist. Private Assets seien in den vergangenen fünf Jahren immer wesentlicher geworden für Investoren, die Diversifizierung und höhere Renditen anstreben, so Baudson. In Europa verfüge Amundi vorerst über "ein solides Setup", um den Bedarf abzudecken. Gestärkt werden soll dieses Geschäft jedoch in Asien. 

Baudson geht davon aus, dass die Fondsindustrie in den nächsten zehn Jahren in Asien "mindestens zweimal schneller wächst als in Europa". In Indien hat Amundi bereits ein Investmentfonds-Joint-Venture gemeinsam mit der State Bank of India (SBI), das nach Eigenangaben auf einen Marktanteil von 18 Prozent kommt. Weitere Märkte sollen erschlossen werden.

Hand in Hand mit dem Ausbau in Asien soll die Expansion in die USA gehen: Im April verkündete Amundi eine Kooperation mit der an der Nasdaq gelisteten Fondsgesellschaft Victory Capital, die rund 180 Milliarden Dollar verwaltet. Victory wird die Amundi-Strategien in den USA vertreiben und umgekehrt – was wiederum ein strategischer Schachzug für das Wachstum im Osten ist. "Speziell unsere asiatische Kunden kaufen viel US-Expertise", so Baudson. Global steige der Bedarf nach persönlicher Finanz- und Pensionsvorsorge aufgrund der wachsenden und alternden Weltbevölkerung. Das sei noch vor allen anderen Wachstumsfeldern der wichtigste Geschäftstrend für die Vermögensverwalter. 

"Mindestens zehn Prozent Rendite"
Daran, dass die Pariser global weiter als kräftige Zukäufer am Markt auftreten werden, lässt Baudson keinen Zweifel. "Wir wollen schnell wachsen", sagt sie. Wie ein Blick auf das globale Ranking der Vermögensverwalter zeigt, ist ein hoher Wille zur Akquisition tatsächlich nötig, um vorne mitzumischen: So rasant die Geschäftsentwicklung bei Amundi bisher war, zur Nummer eins, dem US-Riesen Blackrock, der mit rund zehn Billionen Dollar ungefähr fünfmal so viel Anlegergeld verwaltet, besteht ein großer Abstand. Auch Vanguard, Fidelity und andere US-Häuser sind in weiter Ferne. Amundi ist in verschiedenen Rankings auf dem siebten oder achten Platz zu finden. Rein durch organisches Wachstum wird man da nicht aufschließen können. "Amundi hat Überschusskapital in signifikanter Höhe. Die Hälfte unseres Wachstums haben wir in den vergangenen Jahren durch Akquisitionen erzielt", gibt sich Baudson auf die Frage zur M&A-Strategie weiter offensiv.

Gleichzeitig verordnet sie ihrem Unternehmen bei der Expansionsstrategie Disziplin. Akquisitionen als Selbstzweck weist die Amundi-Chefin zurück. "Wir kaufen nur, wenn wir sehen, dass wir die Integration vernünftig managen können, wenn wir wissen, dass wir die Mitarbeiter und das Know-how behalten und den Kunden mehr bieten können als davor", so Baudson. Gleichzeitig muss die Rendite passen. Soll heißen: "Wir wollen einen Return on Investment von mindestens zehn Prozent".

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Amundi mit Blick auf das verwaltete Vermögen nicht nur mit angelsächsischen Häusern konkurriert, sondern es auch mit einem Wettbewerber aus dem eigenen Land zu tun bekommt: BNP Paribas hat angekündigt, das Asset-Management-Geschäft der Axa zu übernehmen. Klappt der Zusammenschluss, verwaltet BNP Paribas Asset Management künftig 1,5 Billionen Euro. Das Gespräch mit Baudson fand vor Bekanntwerden der Übernahmepläne statt.

© Magali Delporte / Amundi

"Technologie ist unglaublich wichtig"
Vorantreiben will die Amundi-Chefin zudem die Ausrichtung als Technologieanbieter. Vor einigen Jahren hatte der Vermögensverwalter seine Alto-Plattform lanciert. Das Geschäft lief aber zäher an als erhofft. In diesem IT-Universum werden unter anderem Portfolioverwaltungstools angeboten oder Produkte wie Alto Wealth, das Banken und Berater durch den Verkaufsprozess leitet. Zwar ist Alto den Angaben zufolge profitabel. Aber eine Kundenanzahl von 61 und ein Umsatzbeitrag von 60 Millionen Euro sind für den Fondsriesen mit gut drei Milliarden Euro Umsatz ein verschwindender Betrag.

"Das ist nicht nur eine Frage des Umsatzes", betont Baudson. Vielmehr müsse die Art und Weise, wie Banken und Berater die Fonds beim Endkunden unterbringen, einfacher und digitaler werden und vor allem regulatorisch zunehmend strengeren Vorgaben genügen. "Technologie ist unglaublich wichtig für die Distributoren. Ich denke, es wird in den nächsten Jahren ein Schlüsselservice, dass man nicht nur das Asset Management liefert, sondern auch die Services und Technologien rund herum, damit die Partner die Produkte bei den Endkunden effizient vermarkten können. Einfach einen Fonds in das Regal zu stellen, ist heute keine interessante Lösung mehr", so Baudson.

Unicredit-Kooperation: "Keine Neuverhandlung"
Dass die Bindung von Vertriebspartnern aus Sicht der Vermögensverwalter wesentlich ist, sieht man auch an der Diskussion über die Kooperation mit der Unicredit. Amundi hat der italienischen Großbank im Jahr 2017 die Fondssparte Pioneer abgekauft und einen Zehnjahresvertrag über Absatzmengen geschlossen. Momentan kommen rund drei Viertel der über die Unicredit abgesetzten Vermögensverwaltung von Amundi. In den vergangenen Monaten mehrten sich jedoch die Berichte, wonach die Italiener unzufrieden mit der Gebührenaufteilung sind und bessere Vertragskonditionen anstreben.

Es gebe keine Neuverhandlungen, der Vertrag bleibe "absolut" so, wie er jetzt ist, stellte Baudson gegenüber der Redaktion klar. "Die Vereinbarung ist in Kraft und wird es bis zum Ablauf des Vertrags im Juli 2027 bleiben", bekräftigte die Amundi-Chefin. Dass die Unicredit unzufrieden sei, wies sie mit Blick auf die Zahlen zurück: Vielmehr sei der Umsatzanteil von Amundi innerhalb des Unicredit-Netzwerkes in den vergangenen drei Jahren gestiegen.

"Wollen weitermachen"
Über die Zeit nach 2027 müsse mit der Unicredit verhandelt werden. "Wir sind sehr glücklich mit der Vereinbarung und es ist aus unserer Sicht klar, dass wir damit weitermachen möchten", so Baudson.

Dass die Unicredit mit "Onemarkets" eine eigene Subadvisory-Plattform entwickelt, über die sie ihre Investmentideen durch externe Fondsmanager umsetzen lässt, sieht Baudson nicht als Ausbootung von Amundi als vorrangigen Fondspartner. Onemarkets sei ein "cleverer" Schritt, der der Unicredit höhere Erträge aus dem Verkauf der Produkte ermögliche. Im Übrigen sei Amundi ja auf der Onemarkets-Plattform ebenfalls als eine der Gesellschaften vertreten, die dort Fonds nach den Vorgaben der Bank managen. Dass Banken in Europa das sogenannte Subadvisory ausbauen, sei ein Trend. Diesen greife Amundi mit einer eigenen Plattform auf, die momentan rund 80 Milliarden Euro verwalte. (eml)