Den Fall Onecoin als "Anlegerkrimi" zu bezeichnen, ist keine Übertreibung. Allein die dazu angefertigte FBI-Lektüre hinterlässt bei jedem, der sich beruflich damit beschäftigt, den Eindruck, die abendliche Netflixserie schon während der Arbeitszeit konsumiert zu haben: Milliarden sind verschwunden. Gründerin Ruja Ignatova, eine Deutsch-Bulgarin, die sich "Kryptoqueen" nennen ließ, ist seit 2017 auf der Flucht. Ihr Bruder Konstantin Ignatov, 2019 in Los Angeles festgenommen, kooperiert angesichts eines drohenden Strafrahmens von 90 Jahren Gefängnis mit den US-Behörden. Mitgründer Karl Sebastian Greenwood, in Thailand verhaftet, muss sich ebenso vor einem US-Gericht verantworten wie Onecoin-Anwalt Mark Scott, der wegen Geldwäsche verurteilt wurde, aber noch auf sein Strafmaß wartet. Die Onecoin-Blockchain, auf der die behauptete Kryptowährung angeblich aufbaute, ist nach polizeilichen Erkenntnissen eine Erfindung. Das System war laut den Ermittlern von vorn herein ein Pyramidenspiel.

Einem Anwalt der Beschuldigten entschlüpfte jüngst bei veröffentlichten Gesprächen mit dem Richter die Information, dass der Schaden bei 15 Milliarden US-Dollar liegt. Bisher war man von "nur" drei bis vier Milliarden ausgegangen. Am Ende könnte Onecoin dem Anlagebetrüger Bernard Madoff den Rang ablaufen. Global ermitteln die Behörden – in China ebenso wie in Mexiko, wo die Polizei sich unter anderem mit zwei ermordeten Vertrieblern beschäftigen muss. In Deutschland beantragte die Staatsanwaltschaft Bielefeld kürzlich ein Gerichtsverfahren gegen drei Beschuldigte. So weit, so aufsehenerregend.

Wer hingegen bei österreichischen Behörden nachfragt, tappt ins Leere. Onecoin? "Nie gehört", sagen die meisten von FONDS professionell kontaktierten Staatsanwälte. Man könnte zu dem Schluss kommen, der Megabetrug, der 2017 ins Rollen kam, hätte hierzulande nie stattgefunden. Sicher, die Hauptverantwortlichen sitzen anderswo: Deutschland, Bulgarien, Dubai, USA. Doch auch in Österreich wurden Onecoin-Produkte vertrieben – ein Konsumentenschützer erinnert sich etwa an einen "amtsbekannten Keiler". Nach ORF/BBC-Recherchen haben österreichische Anleger zwischen 2014 und 2017 rund 50 Millionen Euro investiert. Eine der angefragten Staatsanwaltschaften kann nicht einmal mehr Hinweise auf eigene Ermittlungen finden, die sie damals offiziell bestätigte. Eine andere österreichische Staatsanwaltschaft hat mehrere Verfahren eingestellt, weil es um "Vermittler auf unterer Ebene" ging, denen man eine Betrugsabsicht nicht nachgewiesen konnte. Strafrechtlich blieb Onecoin in Österreich offenbar konsequenzenlos. Und auch zivilrechtlich scheint der Fall nicht das große Geschäft gewesen zu sein, das sich Anwälte angesichts der Schadenssumme seinerzeit erhofft hatten: So will eine Kanzlei, die damals um Geschädigte warb, heute gar nicht mehr über Onecoin sprechen.

Täter und Opfer zugleich
Wie kann es sein, dass sich ein Skandal dieses Ausmaßes scheinbar wie Rauch verflüchtigt? Die Antwort dürfte hauptsächlich in einem (Kriminal-)psychologischen Effekt liegen, auf den man im Gespräch mit polizeilichen Betrugsexperten immer wieder hingewiesen wird: Wer in einem Pyramidenspiel Geld verliert, zeigt seinen Schaden oft gar nicht an. Erstens aus Scham, zweitens, weil Geschädigte meist selbst Teil des Netzes sind und sich folglich bei einer Anzeige ebenfalls belasten würden. Solche Systeme sehen in der Regel vor, dass nur wirklich "reich" wird, wer wiederum genügend neue Kunden einwirbt. Nicht selten fällt dabei die Wahl auf Freunde und Verwandte.

Pyramidenspiele sind aus der Sicht der Drahtzieher das perfekte Verbrechen, weil es die Opfer zu Tätern macht und auf diese Weise eine extrem hohe Hürde für die Anzeige schafft. Betroffene gehen viel zu spät zur Polizei oder schweigen gänzlich über ihren Verlust, um sich selbst oder Freunde nicht in Bedrängnis zu bringen: Wer zeigt schon gern Nahestehende an? Konsumentenschützer bestätigen, dass sie Onecoin-Geschädigte – da es um Betrug ging – an die Strafverfolgungsbehörden verwiesen haben. Diesen Schritt dürften dann aber die wenigsten gewagt haben. Und selbst jene, die Anzeige erstatteten, stehen mit leeren Händen da, weil es den Behörden nicht gelang, Vermittlern eine Betrugsabsicht nachzuweisen.

Leider ist zu befürchten, dass ähnliche Betrugsfälle bereits vorbereitet werden, jetzt, wo der Bitcoinkurs täglich neue Rekordhöhen erreicht. Betrüger verstehen es, aus den damit verbundenen Emotionen Kapital zu schlagen: Es ist der "ideale Zeitpunkt", um Leute, die den Einstieg in Bitcoin versäumt haben, mit einer "alternativen Krypto-Rendite" zu ködern.