Aus der Psychologie ist bekannt: Zu harte Kritik bewirkt keine Änderung. Die Getadelten blocken ab oder verlieren wegen der überbordenden Beanstandung gleich den Mut. Der bessere Weg: Loben, Alternativen aufzeigen, Belohnung in Aussicht stellen. Fast nach Lehrbuch gingen am Mittwoch (11.9.) die Ökonomin Monika Köppl-Turyna, Direktorin von Eco Austria, Andreas Treichl, Aufsichtsratschef der Erste Stiftung, und Hartwig Löger, Vorstandsvorsitzender der Vienna Insurance Group (VIG), vor, als sie eine Vergleichsstudie zu Pensionssystemen in Europa präsentierten. Obwohl das oft totgeredete österreichische Umlageverfahren zur Debatte stand, blieb das übliche Hinhauen auf dasselbige konsequent aus.

Das österreichische Pensionssystem sei gut, aber teuer. Und wenn schon teuer, dann doch "sehr gut, nicht nur gut". Das war schon eine der "knackigsten" Aussagen, zu der sich der sonst so pointierte Treichl hinreißen ließ. Über eine Stunde bemühte er sich genauso beharrlich wie seine Mitstreiter, niemandem Änderungsempfehlungen oder eigene Vorstellungen auszurichten. Man wolle eine offene Diskussion über das Thema anstoßen, da brauche es mehr Sachlichkeit. Fast wand man sich am Podium, direkt auszusprechen, was die großangelegte Studie von Köppl-Turyna zeigt: Vorsorgemodelle wie in Dänemark oder den Niederlanden, die stärker den Kapitalmarkt nutzen, sind sowohl für den Staatshaushalt als auch für die Pensionisten ein finanzieller Vorteil. Alarm, Alarm! Beim Reizwort Kapitalmarkt könnte ein Teil der Stakeholder, die an möglichen Pensionsreformvorschlägen mitwirken sollen, sofort wieder aussteigen.

Ideologie verhindert Reformen
Dass diese Vermutung nicht weit hergeholt ist, zeigt das seit Jahren immer wieder im Gespräch stehende Vorsorgedepot, auf dem Privatanleger steuerbegünstigt einen gewissen Betrag für die Vorsorge in Fonds, Anleihen oder Aktien anlegen könnten. Im Regierungsprogramm von Türkis-Grün stand es auch drinnen. Vergebens. Die Grünen verhehlten ihre ideologische Abneigung nicht. Eine Begründung: Da würden ja Reiche begünstigt. Auch andere Parteien und Interessensvertreter denken nicht anders. Latent schwingt in Österreich beim Wort "Kapitalmarkt" oft ein leiser Vorwurf mit.

Es muss daher gewürdigt werden, wenn nun einmal ein Gedankenaustausch zum Pensionssystem bewusst frei von Eitelkeiten und Ideologien begonnen wird. Die Schwierigkeit wird in der Zukunft liegen. Bis Mitte 2025 sollen gemeinsam mit wesentlichen Interessensgruppen Reformvorschläge erarbeitet werden. Momentan hat sich noch niemand aus dem Fenster gelehnt, aber spätestens, wenn konkrete Ideen auf dem Tisch liegen, ist die Tür für jene weltanschaulichen Bedenken wieder geöffnet, die momentan so nobel hintangestellt werden. Es wäre eine große Leistung, wenn eine Pensionsdebatte in Österreich nicht wieder so endet, dass die eine Seite die Vorstellungen der jeweils anderen als Profitabsicht oder Klientelpolitik "enttarnt".

Zahlen zeigen die Chancen auf
Dabei ist das Hinausschieben eines umfassenden Pensionsdialogs einzig zum Nachteil der Bürger. Das zeigt die Studie von Köppl-Turyna, gerade weil sie nicht das hiesige System zerpflückt, sondern weil sie positiv herangeht und verdeutlicht, was möglich ist – oder bisher schon gewesen wäre. In den Niederlanden oder in Dänemark, die teilweise auf ein kapitalgedecktes Pensionssystem setzen, liegen die staatlichen Ausgaben dafür bei nur 6,5 beziehungsweise 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während es in Österreich 13,5 Prozent sind. Gleichzeitig stehen die Pensionisten in diesen Ländern besser da: Niederländische Rentner bekommen im Ruhestand 67 Prozent des Durchschnittslohns, in Dänemark 61 Prozent, in Österreich hingegen nur 56 Prozent. Ein Pensionsausgabenniveau wie in den Niederlanden würde bedeuten, dass Österreich jährlich 34 Milliarden Euro einsparen könnte. Zum Vergleich: Unser Bildungsetat ist nur 11,5 Milliarden Euro schwer.

Treichl zeigte sich zuversichtlich, dass der Zeitpunkt für eine Bewegung in der Sache derzeit gut ist. Sein Optimismus speist sich aus einem Arbeitspanel, das unlängst beim Forum Alpbach stattfand. Anwesend sollen neben Wirtschaft und Finanzindustrie auch Gewerkschaften und andere Interessensvertreter gewesen sein. Wer genau, wollte Treichl nicht sagen. Man dürfte jedenfalls hoffnungsvoll auseinandergegangen sein. "Es war die beste Diskussion, die wir darüber hatten. Die Basis für eine echte Lösung ist jetzt gegeben", sagte er – und rang sich dann doch noch zu einem klaren Statement pro Kapitaldeckung durch: "Diese Pensionssysteme sind keine Spekulation, wenn sie langfristig aufgesetzt sind. Sie brechen auch nicht zusammen, wenn es an den Börsen einmal runtergeht."

Kapitalmarktrisiken sind kein ausreichendes Argument
Kenner werden Beispiele vorbringen, in denen es bei kapitalbasierten Systemen in Europa zu Erschütterungen kam. Man wird auch die Risiken diskutieren müssen. Unumstritten ist, dass die Bevölkerung altert. Das belastet das Umlagesystem, in dem immer weniger Junge immer mehr Pensionisten finanzieren müssen. Die Risiken des Kapitalmarktes sind kein ausreichendes Argument, um den Bürgern die Chancen zu verwehren, die ebendort liegen. Man kann sich beziehungsweise seinem Alters-Ich so knapp vor der Nationalratswahl nur wünschen, dass eine neue Regierung diesen vielversprechend eingeleiteten Diskurs anerkennend aufgreift.