In "Nur noch kurz die Welt retten" singt Tim Bendzko über Menschen, die sich selbst zu wichtig nehmen – und dabei Gefahr laufen, die wirklich relevanten Dinge liegen zu lassen. Das Lied stammt aus dem Jahr 2011, es wurde lange vor Greta Thunberg, "Fridays for Future" und dem Pariser Klimaschutzabkommen geschrieben. Dennoch passt es ganz gut auf den jüngsten Trend, der auch die Fondsbranche erreicht hat: Nachhaltigkeit.

Prinzipiell ist es natürlich positiv, dass seit einigen Monaten ein Asset Manager nach dem anderen sein grünes Gewissen entdeckt. Doch das Gehabe, mit dem dieses Thema teilweise nach außen getragen wird, ist nicht nur nervig, sondern potenziell irreführend.

Selbst dunkelgrüne Fonds haben ein Manko
Um das zu erkennen, muss man etwas ausholen. Zum einen ist die Branche eifrig dabei, ESG-Kriterien in die Investmentprozesse zu integrieren. Unternehmen werden nicht mehr nur nach Finanzkennzahlen bewertet, sondern auch nach ihrem Umgang mit Natur, Mitarbeitern und Gesellschaft. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, schon um Reputations- und Umweltrisiken für die Kundenportfolios im Zaum zu halten. Ein Asset Manager, der das erst jetzt erkennt, sollte sich nicht dafür feiern lassen. Sonst muss er sich womöglich die Frage gefallen lassen, ob sein Risikomanagement bislang lückenhaft war.

Zum anderen lancieren die Anbieter immer mehr Fonds, die explizit als nachhaltig vermarktet werden. Wer einen Blick in die Portfolios wirft, stellt fest, dass viele davon bei ehrlicher Betrachtung höchstens als hellgrün bezeichnet werden dürfen. Was ist etwa von Indexfonds zu halten, die zwar Hersteller von Streubomben ausschließen, andere Waffenproduzenten aber gerne aufnehmen? Und auch die gängige Praxis, die Ölkonzerne und Fluggesellschaften mit den relativ höchsten ESG-Scores ins Depot zu nehmen ("Best in Class") ändert nichts daran, dass diese Unternehmen wesentlich zum Klimawandel beitragen.

Doch selbst die dunkelgrünen Fonds aus der Ecke der Überzeugungstäter, die das Thema wirklich ernst nehmen, haben ein Manko: Dem Hersteller von Solarmodulen, Biolebensmitteln oder Lastenfahrrädern fließt kein einziger Euro frisches Geld zu, wenn ein Portfoliomanager seine Aktie kauft. Das wäre nur der Fall, wenn der Fonds an einer Kapitalerhöhung teilnimmt – sonst erhält das Geld schlicht derjenige, der den Titel verkauft.

Ein Reputationsrisiko für die Branche
Frank Wettlauffer, langjähriger Vorstand des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG), spricht von einer "Wirkungsillusion" (FONDS professionell ONLINE berichtete): Er bemängelt zu Recht, dass mancher Anbieter grüner Geldanlagen seinen Kunden vorrechnet, wie viel Kohlendioxid durch sein Investment angeblich eingespart wird. In Wahrheit handelt es sich dabei um einen rein fiktiven Wert.

Wer wirklich Kohlendioxid einsparen will, muss mit dem Rad statt mit dem Auto ins Büro fahren, seine alte Ölheizung austauschen oder auf Fleisch verzichten. Der Kauf eines Aktienfonds hilft an dieser Stelle nicht. Dass Teile der Finanzbranche das dennoch suggerieren, ist ein echtes Reputationsrisiko – in diesem Fall nicht für das Portfolio des Kunden, sondern für das eigene Unternehmen. Die Fondsindustrie hatte schon so manches Mal mit Produktwahrheit und Produktklarheit zu kämpfen, da sollte sie sich nicht selbst die nächste Falle stellen.

Worte wirken Wunder
Ist das Bemühen der Asset Manager um grünere Portfolios in Wahrheit also reines Marketing, ohne Auswirkung auf Umwelt und Gesellschaft? Nein, dieser Vorwurf wäre falsch. Der Mechanismus wirkt nur viel indirekter, als man annehmen könnte. Wenn ein einzelner Fondsmanager seine Kohletitel gegen Solaraktien tauscht, ist der Effekt gleich null. Wenn Tausende das tun, kommt der Kurs des Kohlekonzerns ins Rutschen, und das Management muss sich über eine neue Strategie Gedanken machen. Mitunter wirken auch Worte Wunder: Drohen Vertreter billionenschwerer Asset Manager einem Vorstand, ihr Kapital abzuziehen, sollte er nicht sofort die Kinderarbeit in seinem Konzern beenden, kann das ein echtes Umdenken in Gang setzen.

Mit solchen Argumenten dürfen die Fondsanbieter und Anlageberater ruhig für ESG-Produkte werben. Aber bitte nicht mit der Behauptung, durch den Kauf eines Aktienfonds würde auch nur ein Gramm Kohlendioxid eingespart. Sonst ergeht es der Branche womöglich wie dem Protagonisten in Tim Bendzkos Lied: Der kommt sich großartig vor, ist in Wahrheit aber nur ein Wichtigtuer.