Höhere Zinssätze stellen die Belastbarkeit von Haushalten, Unternehmen, Regierungen und Immobilienmärkten auf die Probe, schreibt die Europäische Zentralbank in ihrem halbjährlichen Finanzstabilitätsbericht, der am Mittwoch (31.5.) von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos vorgestellt wurde. Das mache die Märkte anfällig für ungeordnete Anpassungen. Obwohl die Banken der Eurozone den jüngsten Turbulenzen in den USA und der Schweiz erstaunlich gut standgehalten haben, könnten höhere Finanzierungskosten und schlechtere Kreditqualität ihre Rentabilität belasten.

"Die Finanzmärkte bleiben anfällig für ungünstigere Wachstums- und Inflationsentwicklungen", so die EZB in ihrem Bericht. "Eine negative Marktdynamik könnte durch Zwangsverkäufe von Wertpapieren noch verstärkt werden."

Noch kein Ende der Zinserhöhungen
Die Warnungen zeigen die weitreichenden Auswirkungen der aggressivsten geldpolitischen Straffungsmaßnahmen in der 25-jährigen Geschichte der EZB auf. Doch trotz der sich abzeichnenden Risiken für die Finanzstabilität und der Verlangsamung der Konjunktur sagen die Währungshüter, dass sie mit ihren Zinserhöhungen noch nicht ans Ende gelangt sind, da sie darum kämpfen, die Inflation wieder auf zwei Prozent zu bringen.

"Preisstabilität ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die dauerhafte Wahrung der Finanzstabilität", schreibt de Guindos im Vorwort des Berichts, bevor er auf die Nebenwirkungen eingeht, die in Kauf genommen werden müssen. "Die strengeren Finanzierungsbedingungen, mit denen der hohen Inflation energisch begegnet werden soll, haben zu einer Neubewertung der Wirtschaftsaussichten und zu einer Umkehrung der übermäßig niedrigen Risikoprämien bei Finanzanlagen beigetragen", meint er. "Wenn sich die finanziellen Bedingungen normalisieren, kann dies Schwachstellen und Verwerfungen im Finanzsystem zutage fördern."

Immobilienmärkten droht "ungeordnete Korrektur"
Ein Bereich, den die EZB besonders hervorhebt, ist der Immobilienmarkt. Die Hauspreise haben sich in relativ kurzer Zeit erheblich abgekühlt und könnten weiter fallen, wenn die höheren Hypothekenkosten die Nachfrage weiter verringern. Gleichzeitig befinden sich die gewerblichen Immobilienmärkte aufgrund schwierigerer Finanzierungsbedingungen, unsicherer Wirtschaftsaussichten und einer schwächeren Nachfrage nach der Pandemie weiterhin im Abschwung. Diese Korrektur könnte die Widerstandsfähigkeit von Investmentfonds auf die Probe stellen, so die EZB. "Die Korrektur auf den Immobilienmärkten könnte im Falle negativer makrofinanzieller Überraschungen ungeordnet werden", heißt es in dem Bericht.

Angesichts der erhöhten Konjunkturrisiken und der jüngsten Spannungen an den Märkten sollten die Banken von einer Erhöhung ihrer Ausschüttungsquoten absehen und sich stattdessen darauf konzentrieren, ihre Widerstandsfähigkeit zu bewahren, so die EZB.

Mehrere große europäische Banken erhielten Anfang des Jahres die Genehmigung der EZB-Bankenaufsicht, überschüssiges Kapital in Milliardenhöhe durch Aktienrückkäufe an die Anleger auszuschütten. "Die Stärkung der Bankenunion – und insbesondere die Fortschritte bei einem gemeinsamen europäischen Einlagensicherungssystem – werden die Fähigkeit des Finanzsystems des Euroraums stärken, künftigen Risiken standzuhalten", meint de Guindos. (mb/Bloomberg)