Mike Wilson, Chefstratege für US-Aktien bei Morgan Stanley, räumte am Montag (24.7.) ein, dass er zu lange an seinem Pessimismus festgehalten hat. Seine Prognose für den S&P 500 liegt nach wie vor bei 3.900 Punkten – ein Niveau, das der Index mit seinem Sprung um 19 Prozent auf rund 4.560 Punkte schon weit hinter sich gelassen hat.

"Wir haben uns geirrt", schrieb Wilson seinen Kunden. "Das Jahr 2023 war eine Geschichte mit höheren Bewertungen als wir erwartet hatten – und das bei sinkender Inflation und Kostensenkungen." Sein Team hat den Fokus kürzlich auf Juni 2024 verlagert, für den das Kursziel bei 4.200 liegt, etwa acht Prozent unter dem aktuellen Niveau.

Rally statt "teuflischer" Ausverkauf
Wilson verbrachte den Großteil des Jahres 2023 damit, vor einer Umkehr der Rally zu warnen. Er schlug bei Technologieaktien Alarm und argumentierte, dass die Turbulenzen im Bankensektor im März einen "teuflischen" Ausverkauf signalisierten, der notwendig sei, bevor die Aktien wieder steigen könnten.

Der Benchmark-Index hat aber eine kräftige Rally hingelegt. Der Aufschwung wurde durch eine Reihe von Faktoren begünstigt, vom Optimismus im Bereich der künstlichen Intelligenz, der den Mega-Tech-Unternehmen Auftrieb gab, bis hin zu einer widerstandsfähigen Wirtschaft, in der sich die Inflation verlangsamte und sich die Rezessionsängste als verfrüht erwiesen.

Wilson gehört zu der Mehrheit der Prognostiker an der Wall Street, die die Aktienrally verpasst haben. Einige von ihnen beeilen sich nun, ihre Kursziele nach oben zu korrigieren.

Schwindende Preissetzungsmacht für Unternehmen
Wilson räumt zwar seinen Fehler ein, bleibt aber vorsichtig, was die Ertragskraft der amerikanischen Unternehmen angeht. Während die nachlassende Inflation den Optimismus hinsichtlich einer freundlicheren US-Notenbank stärkt, was ein günstiger Hintergrund für Aktienbewertungen ist, bedeutet dies auch eine schwindende Preissetzungsmacht für Unternehmen.

Zwei Wochen nach Beginn der Berichtssaison übertrifft das Tempo der Gewinnherabstufungen das der Heraufstufungen, sodass die von Morgan Stanley ermittelte Breite der Gewinnrevisionen wieder in den negativen Bereich fällt.

"Wir bleiben pessimistisch für die Gewinne im Jahr 2023", sagte Wilson. "Die Inflation sinkt jetzt schneller als vom Konsens erwartet, insbesondere die Inflation, die den Unternehmen zugute kommt. Da die Preise der Hauptfaktor sind, der das Umsatzwachstum vieler Unternehmen in diesem Jahr über der Nulllinie gehalten hat, wäre es ein erheblicher Gegenwind, wenn diese Preissetzungsmacht verschwinden würde." (mb/Bloomberg)