Auch kurz vor der französischen Präsidentschaftswahl hat sich noch immer kein klarer Spitzenreiter herauskristallisiert. Während die Gunst der Wähler schwankt, haben Anleger und Analysten ihren Kandidaten der Herzen bereits gekürt: Sie wollen den liberalen, parteilosen Emmanuel Macron als Staatspräsidenten sehen. "Wir meinen, dass eine Präsidentschaft von Macron für Europa als Ganzes vorteilhaft wäre und am europäischen Aktienmarkt für moderate Kursgewinne sorgen könnte", sagt Neil Dwane, Stratege bei Allianz Global Investors.

Macrons Wirtschaftsprogramm findet die Zustimmung der meisten Beobachter aus der Asset-Management-Branche: Er möchte die Besteuerung der Löhne senken und im Gegenzug Abgaben auf bewegliche Vermögenswerte erhöhen. Sein Ziel ist es, das Budgetdefizit über die kommenden fünf Jahre unter drei Prozent und die Arbeitslosigkeit unter sieben Prozent zu drücken. Zudem plant er zur Stärkung des privaten Sektors Investitionen im Umfang von 50 Milliarden Euro, unter anderem in die digitale Technologie, die Verkehrsinfrastruktur und die Energiewende. 

Erleichterung ja, Rally nein
Sollte Macron tatsächlich das Rennen machen, wären die Märkte nicht überrascht. "Sie haben einen Wahlsieg Macrons schon vor März eingepreist, als sich die niederländischen Wähler gegen den rechtsgerichteten Populismus von Geert Wilders ausgesprochen haben", erklärt Philip Dicken, Aktienstratege bei Columbia Threadneedle.

Die Aktienkurse dürften in diesem Fall zwar steigen, aber nur moderat. Der größte Vorteil eines Macron-Sieges bestünde darin, dass er die politischen Unsicherheiten in Europa schlagartig reduzieren würde – und damit auch die Schwankungen an den Aktienmärkten.

Das Gespenst des rechten Populismus
Noch hängt allerdings ein Wahlsieg der rechtsextremen Marine Le Pen wie ein Damoklesschwert über den Investoren. Sollte sie gewinnen, dürften die Märkte deutlich heftiger reagieren als beim Brexit-Votum und bei Donald Trumps Wahlsieg in den USA, urteilt Dicken.

Wirtschaftspolitisch würde Marine Le Pen die "Grande Nation" in die Isolation führen: Die Spitzenkandidatin des Front Nationale möchte die vollständige Budgethoheit Frankreichs wiedererlangen und mithilfe eines höheren Defizits ein Konjunkturprogramm lancieren, mit dem das Wachstum auf zwei Prozent gesteigert werden soll. Bis 2020 soll das Defizit auf 1,3 Prozent des BIP gedrückt werden. Prognosen zur Durchführbarkeit ihres Programm sind schwierig – insbesondere, da sie die Wiedereinführung des dann sofort abwertenden Franc, den Austritt aus der EU und einen Einwanderungsstopp vorsieht. Neue Steuern, wie eine Strafsteuer für die Beschäftigung von Ausländern oder ausländischer Güter und Dienstleistungen, sind ebenfalls vorgesehen. 

Auch bei Edmond de Rothschild Asset Management sieht man Restrisiken, was einen Überraschungssieg von Le Pen anbelangt. Anleger sollten die Bedeutung der Frankreich-Wahl für die Märkte auf keinen Fall unterschätzen, warnt Benjamin Melman, Leiter des Bereichs Asset Allocation bei dem französischen Fondsanbieter.

Investmentprofis sind sich weitestgehend einig, was passiert, falls Le Pen in den Élysée-Palast einziehen sollte: Die Aktienkurse in Europa würden fallen, die Schwankungen an den Märkten noch einmal zunehmen. Edmond de Rothschild AM hat europäische Aktien deshalb vorsichtshalber nur leicht übergewichtet und hält als zudem als Absicherung am US-Dollar fest. Auch andere Investmentgesellschaften haben sich für alle Eventualitäten gerüstet. (fp/ps)