Als der junge Abraham Wald in Manhattan während des Zweiten Weltkriegs Einschusslöcher an zurückgekehrten Kampfflugzeugen studierte, hätte er wohl kaum gedacht, dass er sowohl den Kriegsverlauf als auch die Wirtschaftswissenschaften nachhaltig verändern würde, schreibt Alexander Pirpamer, Geschäftsführer Portfoliomanagement bei Blackpoint Asset Management, in einem aktuellen Marktkommentar.

Im Zweiten Weltkrieg stand die US-Luftwaffe vor einer Herausforderung: Kampfflugzeuge kehrten oft mit zahlreichen Einschusslöchern von ihren Einsätzen zurück. Das Dilemma bestand darin, Flugzeuge besser vor feindlichem Beschuss zu schützen, ohne ihre Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Zunächst lag die Idee darin, die Bereiche mit den meisten Einschusslöchern in zurückkehrenden Flugzeugen zu verstärken und die Flieger dann mit größerer Panzerung wieder in den Kampf zu schicken. Walds Lösung hingegen war auf den ersten Blick kontraintuitiv: Die Panzerung dort anzubringen, wo keine Einschusslöcher zu finden waren – an den Motoren.

Auf die richtigen Fragen kommt es an
Wie würden sich die Schäden verteilen, wenn sie – wie zu erwarten – gleichmäßig über das gesamte Flugzeug gestreut wären? Und wo waren die Einschusslöcher am Motorgehäuse zu finden? Wald war sich sicher, dass es nur eine Antwort geben konnte: Die fehlenden Einschusslöcher befanden sich an den Flugzeugen, die nie zurückkehrten. Und zwar, weil sie aufgrund eines Treffers am Motor abgestürzt waren. Ein weiterer Hinweis war, dass es eine große Anzahl an Maschinen schaffte, trotz eines durchlöcherten Rumpfes sicher zur Basis zurückzukehren. Dies war ein deutliches Zeichen dafür, dass die Schäden durch Einschüsse am Rumpf nicht unbedingt fatal waren.

Unsichtbare Schäden sind der Schlüssel
Walds Erkenntnisse zeigten, dass nicht die sichtbaren Schäden den Schlüssel zur Verbesserung der Flugzeugsicherheit darstellten. Es waren vielmehr jene, die unsichtbar blieben – eine Lektion in Sachen Risikomanagement, die weit über die Grenzen der Luftfahrt hinaus Bedeutung finden sollte.

Die Arbeit von Abraham Wald und seiner Kollegen der Statistical Research Group – zu der Nobelpreisträger Milton Friedman gehörte – gilt als Grundlage des Survivorship Bias ("Überlebensverzerrung") und ist ein wichtiges Element in der Theorie der Entscheidungsfindung. Im Portfoliomanagement bezieht sich der Survivorship Bias auf die Tendenz, nur die erfolgreichsten Unternehmen zu betrachten. Diejenigen, die schlecht abgeschnitten haben oder gar aufgelöst wurden, werden hingegen außer Acht gelassen. Dies führt zu einer verzerrten Darstellung der durchschnittlichen Renditen und des Risikoprofils am Aktienmarkt.

Unternehmen müssen sich anpassen
Die aktuelle Dominanz und auch der wirtschaftliche Erfolg der Technologieunternehmen 
verdecken den Umstand, dass nicht alle Titel den fortdauernden Wettbewerb überleben werden. Kodak beispielsweise entwickelte 1975 die erste digitale Kamera, unterschätzte aber das Potenzial der digitalen Revolution. Das Unternehmen hatte Angst, die erfolgreichen Analogprodukte zu kannibalisieren und musste schließlich 2012 Konkurs anmelden. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie selbst die erfolgreichsten Unternehmen scheitern können, wenn sie es versäumen, sich auf sich verändernde Technologien und Marktdynamiken einzustellen. 

Die Preisbildung eines Unternehmens am Aktienmarkt unterliegt dem Phänomen, dass die 
Kursbewegungen von Aktien nicht immer den fundamentalen Werten der Unternehmen 
entsprechen. Dieses Rätsel (im angelsächsischen Raum wird der passendere Begriff "Pricing 
Puzzle" benutzt) umfasst Situationen, in denen die Marktpreise der Aktien scheinbar 
traditionellen Finanztheorien und Bewertungsmodellen widersprechen. Faktoren wie 
Anlegerstimmung, Marktspekulation oder externe wirtschaftliche Ereignisse können dazu führen, dass sich Aktienkurse erheblich von ihrem intrinsischen Wert unterscheiden – sie sind also über-, unter- oder fair bewertet.

So einfach wie möglich, aber nicht einfacher
"Unsere 'Panzerung' gegen die Unwägbarkeiten der Finanzmärkte sind Analysen von Daten und Nachrichten", erklärt Blackpoint-AM-Experte Alexander Pirpamer. "Und analog zu den Flugzeugen bei Abraham Wald möchten wir im Portfoliomanagement effizient und flexibel bleiben. Das Streben nach immer aufwendigeren Modellen muss also Grenzen haben. Überkomplexität mindert sogar die Aussagekraft und führt zu Schwerfälligkeit." Albert Einstein formulierte es wohl am treffendsten: "Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher." (mb)