Die Bilanz von Melvin Capital kann sich sehen lassen, oder besser gesagt: konnte. Seit seiner Gründung im Jahr 2014 hat der US-Hedgefonds dem "Wall Street Journal" zufolge im Schnitt 30 Prozent Rendite pro Jahr erzielt. Trotzdem musste er jetzt von zwei Mitbewerbern gerettet werden. Wie das "Handelsblatt" berichtet, haben die Wettbewerber Citadel und Point72 Asset Management insgesamt 2,75 Milliarden US-Dollar bei Melvin investiert, um den Hedgefonds aus einer gefährlichen Schieflage zu retten. Dessen Gründer Gabriel Plotkin hatte sich mit einer Horde junger Hobby-Trader angelegt – und den Kürzeren gezogen.

Melvin hatte, wie auch viele andere Investoren, darauf gewettet, dass der Aktienkurs des Computerspielehändlers Gamestop fällt. Das texanische Unternehmen unterhält Ladenlokale in Einkaufszentren und galt schon vor der Corona-Krise als potenzieller Pleitekandidat. Mitte Januar geriet die vor sich hin dümpelnde Gamestop-Aktie aber ins Visier der Nutzer des Reddit-Forums "WallStreetBets". Die nehmen sich immer wieder einzelne Aktien vor und treiben deren Kurse mit konzertierten Käufen in die Höhe. Am liebsten tun sie das mit Titeln, die einen hohen "Short Float" aufweisen, also einen hohen Anteil an leerverkauften Aktien. Denn die "WallStreetBets"-Community mag keine Shortseller, also Investoren, die mit Leerverkäufen von fallenden Kursen profitieren wollen.

Leerverkäufer machen Milliardenverluste
Steigt der Kurs einer Aktie, statt zu fallen, müssen Shortseller irgendwann kaufen, um ihre Verluste zu begrenzen. Das treibt den Kurs weiter in die Höhe, was wiederum andere Shortseller unter Zugzwang bringt – ein Dominoeffekt setzt ein. Gibt es nicht ausreichend Aktien am Markt, damit alle Leerverkäufer ihre Positionen glattstellen können, kann der Kurs theoretisch unbegrenzt weiter steigen. Im Fachjargon bezeichnet man das als "Short Squeeze". Bei Gamestop ist dieser Tage einer der bemerkenswertesten Short Squeezes seit langem zu beobachten, befeuert von Hunderttausenden Reddit-Usern, die sich im Internet dazu anstacheln, den Kurs der Aktie mit dem Ticker-Kürzel GME auf mindesten tausend US-Dollar zu treiben.

Melvin gehört zu den unglücklichen Shortsellern, die beim GME-Short-Squeeze ausgepresst wurden wie Zitronen. Laut "Wall Street Journal" hat der Hedgefonds seit Jahresbeginn sage und schreibe 3,75 Milliarden US-Dollar verloren. Das entspricht rund einem Drittel seines einstigen Gesamtwerts. Insgesamt haben Leerverkäufer im Tauziehen um die Gamestop-Aktie bereits mehr als sechs Milliarden US-Dollar in den Sand gesetzt. Zur Einordnung: Der Börsenwert des Spielehändlers lag in der vergangenen Woche bei gerade einmal 1,2 Milliarden US-Dollar. Und die "WallStreetBets"-Community denkt nicht ans Aufgeben.

Kommt jetzt ein Short Squeeze bei Varta und Evotec?
Die Probleme bei Melvin schlagen Wellen, deren Ausläufer sogar den deutschen Aktienmarkt erreichen. Denn der Hedgefonds wettet bereits seit längerer Zeit auf einen Kursverfall bei den deutschen Titeln Varta und Evotec, berichtet das "Handelsblatt". Sollte Melvin diese Wette nun auflösen, könnte das die Kursentwicklung der beiden Papiere massiv beeinflussen. Um seine Position glattzustellen, müsste der Hedgefonds nämlich Aktien von Varta und Evotec zurückkaufen. Der Kurs würde steigen, andere Shortseller könnten gezwungen sein, nachzuziehen – der nächste Short Squeeze wäre in Sicht. Am Mittwoch (27. Januar) gab es bereits einen Vorgeschmack darauf: Der Aktienkurs von Evotec stieg um rund zehn Prozent und kletterte damit auf den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten. (fp)