Das aktuelle Kapitalmarktumfeld hält Frank Engels, CIO bei Union Investment, für durchaus aussichtsreich. Sorgen bereiten dem Anlagechef aber die geopolitische Lage und die anstehenden Wahlen in diesem Jahr. Denn auch, wenn politische Börsen oft kurze Beine haben, könnten die Folgen der politischen Entscheidungen diesmal tiefgreifender und langfristiger sein, so Engels.

Konjunktur dürfte sich 2024 erholen
Die weltweite Konjunktur dürfte sich seiner Meinung nach 2024 erholen, angetrieben von den USA. Außerdem erwartet Engels einen weiteren Rückgang der Inflation und damit verbunden steigende Realeinkommen. "Der Wachstums-Inflations-Mix spricht damit für chancenorientierte Anlagen wie Aktien", sagt der Investmentexperte. Allerdings sei die Welt geopolitisch fragiler geworden; das könnten die Kapitalmärkte angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, geopolitischer Spannungen sowie zahlreicher Wahlen zu spüren bekommen. 

Vor allem der Wahlkampf um das US-Präsidentschaftsamt dürfte die Stimmung an den Kapitalmärkten beeinflussen. "Unser wahrscheinlichstes Szenario ist entgegen den aktuellen Umfragen ein Sieg von Amtsinhaber Joe Biden und damit eine Fortführung der aktuellen Außen- und Wirtschaftspolitik", so Engels. Seiner Ansicht nach wäre das für die Kapitalmärkte eine gute Nachricht. "Sollte Trump die Wahl gewinnen, wären aus Kapitalmarktsicht weitreichende Folgen zu erwarten", prognostiziert er. Denn: "Eine zweite Amtszeit dürfte in vielerlei Hinsicht drastischer ausfallen, da kaum noch dämpfende Einflüsse vorhanden sind." Änderungen wären dann vor allem bei staatlichen Investitionen und in der Außen- und Handelspolitik zu erwarten. "Gegenüber China dürfte ein Präsident Trump die Gangart verschärfen und das Beziehungsmanagement deutlich unberechenbarer machen", meint er. An den Kapitalmärkten dürften daher nach einem möglicherweise zunächst positiven Impuls schon bald die Risiken aus seiner Präsidentschaft stärker reflektiert werden und das Umfeld für Risikoanlagen belasten. 

Bei Europawahlen droht Rechtsruck
Auch der sonst kaum beachteten Wahl zum Europäischen Parlament Anfang Juni schreibt Engels einen potenziell langfristig größeren Einfluss zu: "Eine rechtspopulistische Machtverschiebung dürfte die EU bei der Lösung ihrer Probleme weiter hemmen", fürchtet der Kapitalmarktstratege. Insbesondere bei der Unterstützung der Ukraine, der Förderung der grünen Transformation und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit könnte nach Einschätzung von Engels eine Blockade drohen. "Der Wahlausgang dürfte zwar kaum kurzfristige Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben. Strukturell könnte aber die Wettbewerbsfähigkeit der EU leiden."

Dauerhaft sieht er den Konkurrenzkampf zwischen den USA und China und die Situation in Taiwan als ernsthafte Belastung. Eine vorübergehende Verschärfung der Risikoaversion sei je nach Verlauf dieser Auseinandersetzung jederzeit möglich. Zudem sieht Engels die Gefahr eines unbeabsichtigten "Unfalls" im Zuge der verstärkten Aktivitäten des chinesischen Militärs rund um den Inselstaat. "Eine bewusste Eskalation erwarten wir aber kurzfristig nicht, dafür haben beide Seiten zu viel zu verlieren." (jh)