Die europäischen Aktienmärkte stehen seit Jahren im Schatten der USA, stellt Thorsten Winkelmann, Chief Investment Officer Europe and Global Growth bei Alliance Bernstein (AB), fest. So legte der MSCI Europe im Jahr 2023 in Euro um 15,8 Prozent zu, der S&P 500 stieg um 26,3 Prozent in US-Dollar. Die Diskrepanz in der Wertentwicklung habe das schleppende Gewinnwachstum in Europa widergespiegelt, während die US-Märkte durch eine kleine Gruppe von Mega-Cap-Aktien, die als große Nutznießer der künstlichen Intelligenz gelten, beflügelt wurden. Der konjunkturelle Hintergrund habe die Sache nicht einfacher gemacht, so der Ex-AGI-Starmanager, der im Januar zu AB gewechselt ist. Europa sei durch ein relativ langsames BIP-Wachstum gebremst worden, die regionalen Aktienmärkte hätten einen größeren Anteil an konjunktursensiblen Aktien als die USA.

Anleger können dennoch einen europäischen Baustein wertschöpfend in ihre Aktienallokation einfügen, meint Winkelmann: "Europa bietet in der Tat attraktive Wachstumsbereiche für Anleger, die wissen, wie man sie findet." Mehrere europäische Branchen – darunter Industrie, Halbleiter und elektrische Ausrüstungen – würden laut Konsensschätzungen bis 2026 ein robustes Gewinnwachstum verzeichnen. Diese Branchen lägen deutlich über den mageren BIP-Wachstumsprognosen der Region. "Einige haben strukturelle Wachstumsfaktoren, die nicht an das makroökonomische Wachstum gebunden sind, wie technologische Trends, Innovationen im Gesundheitswesen, industrielle Automatisierung und die Energiewende", erläutert der AB-Fondsmanager. Darüber hinaus seien viele Unternehmen in diesen Branchen weltweit tätig, sodass sie für ihre Verkäufe nicht auf die europäischen Binnenmärkte angewiesen sind.

Qualitätsunternehmen liefern langfristige Wachstumsraten
Es reiche aber nicht aus, eine ansprechende Branchendynamik zu erkennen. Um europäische Unternehmen mit attraktivem langfristigen Potenzial zu entdecken, müsse man innerhalb strukturell wachsender Branchen nach qualitativ hochwertigen Unternehmen suchen, die im Laufe der Zeit ein beständiges Gewinnwachstum erzielen könnten. "Ausgewählte Unternehmen mit den richtigen Eigenschaften bieten Anlegern oft höhere und – was ebenso wichtig ist – dauerhaftere langfristige Wachstumsraten als ihre breiteren Branchengruppen", erklärt Winkelmann.

Die Halbleiter-Branche sei ein gutes Beispiel. Die Nachfrage nach immer anspruchsvolleren Halbleitern komme aus vielen Richtungen, darunter die Kommerzialisierung von künstlicher Intelligenz, die Migration zur Cloud und das massive Wachstum von Rechenzentren. Diese Trends würden wahrscheinlich auch unter verschiedenen konjunkturellen Bedingungen anhalten. Die Herstellung von Halbleitern erfordere aber hochspezialisierte Geräte, wie EUV-Scanner (Extrem-Ultraviolett-Lithografie). "Das in den Niederlanden ansässige Unternehmen ASML, der einzige Hersteller von EUV-Scannern weltweit, hat diese Technologie in 25 Jahren unter Einsatz von Milliarden von US-Dollar für Forschung und Entwicklung entwickelt. Da EUVs mehr als 100.000 Teile haben, von denen viele kundenspezifisch angefertigt werden, glauben wir, dass die Technologie für Konkurrenten schwer zu kopieren ist, was ASML einen enormen Wettbewerbsvorteil in einem Markt mit zahlreichen Wachstumstreibern verschafft", schreibt Winkelmann. (fp)