Börsengehandelte Indexfonds (ETFs) stehen trotz ihrer wachsenden Popularität bei Anlegern immer mal wieder in der Kritik. Noch nie fiel das Urteil über die passiven Produkte indes so harsch aus wie in einer Studie der Investmentbank Bernstein. Der Titel der Studie nimmt das Ergebnis vorweg: "Der Weg in die Leibeigenschaft: Warum passives Investment schlimmer als der Marxismus ist". Geht es nach Bernstein-Chefstratege Inigo Fraser-Jenkins, ruiniert der Siegeszug der ETFs das kapitalistische System, berichtet die Zeitung "Die Welt".

Fraser-Jenkins‘ Argumentation geht so: Wenn alle Anleger nur noch per ETF investieren, können Unternehmen theoretisch fast pleitegehen, ohne dass es Einfluss auf ihre Aktienkurse hat. Die Märkte kämen dann ihrer Finanzierungsfunktion nicht mehr nach, die vorsieht, dass gute Firmen günstig Kapital bekommen und schlechte Unternehmen abgestraft werden. In einer rein passiv investierenden Welt würden alle Firmen gleich behandelt.

Meinungsstarke Fondsmanager aus Fleisch und Blut, die abseits gängiger Indizes nach lukrativen Investmentideen suchen und wacklige Unternehmen abstrafen, geraten immer stärker unter Druck. In den USA ist der Trend, zunehmend passiv Geld anzulegen, bereits in vollem Gang: Amerikanische Investoren haben 2015 in großem Stil Geld aus aktiven Aktien- und Anleihefonds abgezogen und dieses in ETFs umgeschichtet. Demnach zogen Anleger per Ende November allein 108 Milliarden Dollar aus Aktienfonds und weitere 25,7 Milliarden aus Bondprodukten ab. Demgegenüber verzeichneten börsengehandelte Indexfonds (ETFs) auf Aktien Nettomittelzuflüsse in Höhe von 257 Milliarden Dollar. In Anleiheprodukte strömten neue Gelder in Höhe von 93,8 Milliarden Dollar.

Kein Gott, kein Staat, kein Vaterland
ETFs seien in Wahrheit sogar noch schlimmer als reine Kommandowirtschaft. Im Marxismus entscheidet wenigstens der Staat, welche Unternehmen Kapital bekommen, ätzt Fraser-Jenkins. Bei passiven Investments herrsche dagegen eine Diktatur der Indifferenz. Der Stratege weist darauf hin, dass die Korrelationen zwischen einzelnen Aktien zunehmen.

Ab welchem passiven Anteil im Markt der Trend kippt, sei unklar. Doch dass er kippt, schwant auch anderen Beobachtern schon seit längerem. So warnte Yves Choueifaty, Gründer des Pariser Asset Managers Tobam, im Februar in einem Gastbeitrag für FONDS professionell ONLINE vor der teils völlig faktenfreien Stimmungsmache gegen aktives Fondsmanagement. "Auf die Spitze getrieben würde das Fehlen von aktivem Management die Wirtschaft, wie wir sie heute kennen, zerstören. Der Kapitalismus kann ohne Menschen, die Kapital allokieren, nicht existieren", lautete eine seiner Thesen.

Die allgemeine Entwicklung gibt auch Fraser-Jenkins Anlass zur Sorge. Vor allem, weil nüchternen Sachargumenten immer weniger Gehör geschenkt wird. Noch steckt trotz des rasanten Wachstums der ETF-Branche nur rund ein Drittel des weltweiten Anlagekapitals in passiven Produkten. Doch das kann sich rasant ändern. (fp/ps)