Der Verlust von mehr als zehn Prozent an den US-amerikanischen und von fast 20 Prozent zum Jahreshoch an der japanischen und den europäischen Aktienmärkten könnten entweder als Anzeichen einer aufziehenden Baisse oder als ein Atemholen in einem fortgeschrittenen Bullenmarkt gedeutet werden. Grundsätzlich sei in der Vergangenheit kein Börsenzyklus an Altersschwäche gestorben, sondern "in der Regel von Notenbanken ermordet‘ worden", erklärt Manfred Schlumberger, Vorstand und Co-Leiter Portfoliomanagement beim Vermögensverwalter Starcapital, in seinem aktuellen Kommentar, den Sie nachfolgend nachlesen können. (ps)


Seit Mark Twain wissen wir, dass der Oktober der gefährlichste Börsenmonat des Jahres ist – abgesehen von den anderen elf Monaten! Und so machte der Oktober 2018 seinem Namen alle Ehre. Die US-Aktienmärkte verloren mehr als zehn Prozent und erfüllten damit die Definition einer Börsenkorrektur. Noch Ende September lagen die US-Indizes in der Nähe ihrer Allzeithochs. Auch die anderen großen Weltaktienmärkte verloren in einem ähnlichen Ausmaß, allerdings von einem weit niedrigeren Niveau aus. Die Aktienmärkte der Schwellenländer und insbesondere China sind bereits im Bärenmarktmodus, definiert als Rückgang vom Jahreshoch um mehr als 20 Prozent. Der Dax, die europäischen Aktienmärkte und Japan haben die heftigen Einbrüche seit ihren jeweiligen Jahreshochs nur knapp unter der 20%-Verlustmarke gestoppt.

Sind dies nun Anzeichen einer heraufziehenden Baisse an den Weltbörsen oder nur ein Atemholen in einem sehr reifen, fortgeschrittenen Börsenzyklus, der weltweit nach der Finanzkrise im Jahr 2009 begonnen hat? In der Vergangenheit ist kein Börsenzyklus an Altersschwäche gestorben, sondern er wurde in der Regel von den Notenbanken "ermordet". Starkes Wachstum löste zumeist über steigende Löhne und Rohstoffpreise ein Anziehen der Inflation aus, das die Notenbanken zwang, die Leitzinsen zu erhöhen. Ab einem gewissen Zinsniveau brach die Konjunktur ein. Der beginnenden Rezession ging stets ein heftiger Börseneinbruch voraus. In der Nachkriegszeit gab es in den USA elf Aktien-Bärenmärkte, denen neunmal eine Rezession folgte. Wie hoch ist aktuell das Risiko einer Rezession der Weltwirtschaft?

Zinserhöhungen wiegen schwer
Die Einkaufsmanagerindizes als Frühindikatoren der Wirtschaftsentwicklung deuten weltweit auf eine leichte Abschwächung gegenüber dem starken Vorjahr 2017 hin. Mit dem Auslaufen der positiven Konjunktureffekte der Trump´schen Steuerreform in 2019 ist von einer wirtschaftlichen Verlangsamung auch in den USA auszugehen, allerdings von einem sehr hohen aktuellen Niveau von drei Prozent aus. Ob es dem US-Präsidenten gelingt, angesichts einer demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, weitere fiskalpolitische Maßnahmen wie Infrastrukturinvestitionen zur Stützung der Konjunktur durchzusetzen, ist mehr als fraglich. Die US-Notenbank plant weitere Erhöhungen der Leitzinsen, um die sich moderat beschleunigende Inflation im Griff zu behalten. Der aus konjunkturellen, aber auch demografischen Gründen leergefegte Arbeitsmarkt lässt die Löhne auf Niveaus von über drei Prozent steigen. Auch die hohen Energiepreise zwingen die Zentralbank zu weiteren Zinsschritten.

Neben steigenden Zinsen belastet der hohe US-Dollar und der absehbare Schaden aus dem amerikanischen-chinesischen Handelskrieg die US-Wirtschaft. China als zweitwichtigste Wirtschaftsmacht der Erde schwächelt bereits seit Jahresanfang. Infolge geringerer fiskalpolitischer Impulse hat sich das chinesische Wachstum auf immer noch stolze 6,5 Prozent abgeschwächt. Auch um negative Effekte aus den neuen US-Zöllen abzuschwächen, hat die chinesische Führung bereits begonnen, massiv gegenzusteuern. Eine kontrollierte Währungsabwertung des Yuan, geldpolitische Lockerungsschritte und erste fiskalpolitische Impulse über Infrastrukturinvestitionen sollen eine weitere Wachstumsabschwächung im nächsten Jahr verhindern. Diese Schritte werden wirken, sind aber natürlich langfristig aufgrund des gewaltigen Schuldenbergs von über 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht ungefährlich, den der Staat, die Unternehmen und die privaten Haushalte in Summe angehäuft haben.

Italien und eskalierender Handelskonflikt verunsichern Anleger
Auch in Europa schwächt sich nicht nur das Wachstum insgesamt, sondern auch speziell in Italien und Deutschland, ab. So wird das Wachstum hierzulande im abgelaufenen dritten Quartal vermutlich leicht gesunken sein. Auch hier wirkt sich der von den USA entfesselte Handelskonflikt, hausgemachte Probleme mit der Automobilindustrie, die ItalienKrise und der anstehende Brexit negativ aus. Was den Brexit betrifft, sind wir sehr zuversichtlich, dass es zu einer vernünftigen Lösung kommt, notfalls in einer Nachtsitzung mit angehaltenen Uhren kurz vor Ablauf der Frist.

Der Fiskalkonflikt mit Italien ist schon brisanter. Wegen eines von Italien mit 2,4 Prozent Nettoneuverschuldung geplanten Haushalts wird jedoch niemand in Europa ernsthaft eine neue Eurokrise heraufbeschwören wollen. Nach viel Theaterdonner und weiteren Marktirritationen ist am Ende mit einem "faulen" Kompromiss zu rechnen. In Europa gibt es schließlich eine lange Tradition missachteter Haushaltsregeln.

Unberechenbar in seinen wirtschaftlichen Folgen bleibt der Handelskrieg, denn er basiert nicht nur auf einer Laune des US-Präsidenten, sondern auf einem tiefgreifenden Konflikt um die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung in der Welt. Aktuell ist allerdings lediglich circa 2,5 Prozent des Welthandels von neuen Zöllen betroffen. Mit Kanada und Mexiko ist es bereits zu Deals im Handelskonflikt gekommen, und Europa befindet sich infolge von Zugeständnissen bezüglich Gas- und Sojabohnenimporten in der Warteschleife. Ungleich schwieriger dürfte eine Vereinbarung mit China werden. Wegen der Unkalkulierbarkeit des US-Präsidenten ist beim anstehenden Treffen mit dem chinesischen Staatschef beim kommenden G20-Gipfel alles möglich, sowohl ein Deal als auch eine Verschärfung des Zollkriegs.

Fundamental gibt es kaum Grund zur Besorgnis
Dank der US-Steuerreform, steigenden Umsätzen und den Aktienrückkaufprogrammen sind die Gewinne der US-Unternehmen im letzten Quartal nochmals um fast 30 Prozent im Vorjahresvergleich gestiegen. Die Steuerreform hat jedoch nur einen bescheidenen Investitionsschub hervorgerufen, während gleichzeitig der Immobiliensektor unter den steigenden Zinsen zu leiden beginnt. Mit dem Auslaufen der Steuerreform werden wir im nächsten Jahr deutlich geringere Anstiege der Gewinne sehen. Die Ausblicke der Unternehmen, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, Japan und den Schwellenländern, werden deutlich weniger optimistisch.

Steigende Zinsen kombiniert mit sinkenden Firmengewinnen sind grundsätzlich eine gefährliche Mischung für die Aktienmärkte. Außerhalb der USA ist jedoch bisher wenig von steigenden Zinsen zu sehen. Ein Blick auf die aktuellen Bewertungen der wichtigsten Regionen im Vergleich zu den Ständen vor den letzten beiden Börseneinbrüchen 2000 und 2008 anhand des Kurs-BuchwertVerhältnisses zeigt mit Ausnahme der USA überall merklich geringere Niveaus.

Kurs-Buchwert-Verhältnisse: Außer in den USA ist kein Hausse-Ende zu erwarten 

 

Sowohl in Europa als auch in Japan und den Schwellenländern liegen die Kurs-Buchwert-Relationen sogar unter ihrem historischen Durchschnitt. Trotz weltweit rückläufiger Gewinne und anziehender Zinsen, auch außerhalb der USA, ist vor dem Hintergrund der Bewertungsniveaus an den internationalen Aktienmärkten (ex USA) noch kein Ende des Börsenzyklus zu erwarten. Da die weiteren Leitzinsanhebungen der US-Notenbank in Richtung 3 bis 3,5 Prozent im historischen Vergleich immer noch moderat sein werden und bei den Unternehmen lediglich ein Nachlassen der Gewinndynamik, aber noch keine Gewinnrezession zu erwarten ist, steht uns auch in den USA kein Ende der Börsenhausse ins Haus. Die weltweit nachlassende Liquiditätsversorgung durch die Zentralbanken läutet jedoch das Ende der Vermögenspreisinflation ein: Der Börsenzyklus tritt in seine Endphase, die historisch von hoher Volatilität, insbesondere auch nach oben, geprägt ist.

Was gibt es in einer solchen Spätphase des Börsenzyklus zu beachten?

1. Hochliquide, günstig bewertete Value-Aktien sollten bevorzugt in ein robustes Portfolio aufgenommen werden.

2. Viele Nebenwerte, die infolge ihrer geringen Liquidität normalerweise einen Bewertungsabschlag aufweisen, werden aktuell mit hohen Prämien gehandelt und sollten gemieden werden. Geringe Liquidität ist nicht mit niedriger Volatilität zu verwechseln!

3. Überteuerte Wachstumswerte, insbesondere aus dem Technologiesektor, sind extrem anfällig für (weitere) Kursabschläge.

4. Anlagechancen liegen bevorzugt in günstig bewerteten Regionen (Europa, Japan, Schwellenländer), die bereits heftige Preiskorrekturen hinter sich haben.

Wird es in 2018 noch eine Jahresendrally geben? Insbesondere in den USA, aber auch in Europa, gibt es noch einen wichtigen Pluspunkt für die Aktienmärkte. Allein in den USA stehen nach dem Ende der Bilanzsaison noch über 350 Milliarden US-Dollar an Aktienrückkäufen bis zum Jahresende aus. Katalysator für ein Weihnachtsmärchen wäre ein zumindest kleiner Deal im Handelskonflikt zwischen China und den USA. In der Hoffnung, dass sich "der Donald" in der Rolle des Weihnachtsmanns für die Börse gefällt, verbleibe ich mit den besten Wünschen für die kalte Jahreszeit.