Der Markt hat immer Recht. Das gilt auch für die jüngste Entwicklung des Währungspaars Euro/US-Dollar. Viele Marktakteure sind aber trotzdem der Meinung, dass der US-Dollar gegenüber dem Euro zu niedrig bewertet ist. Einer davon ist Lukas Daalder, seines Zeichens Chief Investment Officer (CIO) von Robeco Investment Solutions.

"Würden wir einen Ökonomen bitten, einen Roman über das Jahr 2017 zu schreiben, käme die Dollar-Schwäche darin wahrscheinlich als eines von zwei noch nicht gelösten Rätseln vor“, meint Daalder. "Das erste Rätsel ist die ausbleibende Inflation. Das zweite die Schwäche des Dollars, der seit Jahresbeginn 2017 gegenüber allen anderen wichtigen Währungen um fünf bis 15 Prozent abgewertet hat.“ Laut Einschätzung Daalders hätte vor dem Hintergrund, dass die US-Wirtschaft 2017 an Dynamik zugenommen und die US-Notenbank Fed ihre Leitzinsen um einen ganzen Prozentpunkt angehoben hat, diese Aufwertung eigentlich nicht passieren dürfen.

Dollar-Aufwertung wie in der Reagan-Ära zu erwarten
"Theoretisch würde man erwarten, dass ein Land mit höheren Geldmarktzinsen auch größere Kapitalströme anzieht, was der betreffenden Landeswährung Auftrieb gibt“, so Daalder. "Dies ist sicher nicht der einzige Faktor, der eine Währung beeinflusst. Auch der Außenhandel, die Geopolitik, Steueränderungen und Handelskriege können eine Rolle spielen. Dennoch waren die Geldmarktzinsen in den letzten zehn Jahren ein ziemlich verlässlicher Einflussfaktor hinter den Wechselkursänderungen – zumindest bis Anfang 2017.“

Laut dem Robeco-CIO gibt es aber noch weitere Gründe, warum der Dollar eigentlich hätte aufwerten müssen. In der Theorie hätte der laut Daalder "seltsame wirtschaftspolitische Cocktail“, für den sich Trump seit seinem Amtsantritt entschieden hat, für eine rasante Aufwertung sorgen sollen. Die Kombination aus erheblichen Steuersenkungen, einer Verschärfung der Geldpolitik durch die Fed und Handelsbeschränkungen erinnert Daalder stark an die von Präsident Reagan in den 1980er Jahren verfolgte Politik.

In Reagans erstem Amtsjahr wertete der Dollar um 20 Prozent auf, und bis zum Ende von Reagans erster Amtszeit verdoppelte der Greenback seinen Wert nahezu. "Den Lehrbüchern zufolge müsste eine Verschärfung der Geldpolitik, verbunden mit einer expansiven Finanzpolitik und Handelsbeschränkungen, tatsächlich zu einer stärkeren Währung führen – und nicht zu einer schwächeren. Anders als unter Reagan hat sich der Dollar unter Präsident Trump aber abgeschwächt und ignoriert offensichtlich das nach den Lehrbüchern zu erwartende Ergebnis.“

Erklärungsansätze
Daalder sieht mehrere Möglichkeiten, die der Erwartung widersprechende Entwicklung des Dollars zu erklären. Die erste ist das hohe und langfristig bestehende strukturelle Handelsdefizit der USA. Es bedeutet, dass mehr Dollar im Ausland ausgegeben als im eigenen Land verdient werden, was im Lauf der Zeit logischerweise zu einer Schwächung der US-Währung führen sollte. Ein zweiter Erklärungsansatz ist die relative Bewertung einer Währung auf Basis der Kaufkraftparität. Anfang 2017 war der Dollar die am stärksten überbewertete Leitwährung. Möglicherweise haben wir es also nur mit einer Korrektur zu tun.

Daalder verweist auch darauf, dass die abnehmenden politischen Sorgen in Europa den Euro gestärkt haben: "Nach dem Brexit-Votum und Trumps Wahlsieg bestand die Befürchtung, dass die drei wichtigen europäischen Wahlen im letzten Jahr in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich den Populisten weitere Siegen bescheren würden. Die Populisten sind aber nicht an die Macht gekommen, und die politischen Sorgen haben nachgelassen, was zur Stärkung des Euros beigetragen hat.“

Als weitere Erklärung kommt laut Daalder ein Vertrauensverlust in die Stellung der USA als einer führenden Macht nach Trumps Wahl zum Präsidenten in Betracht. Wie es oft der Fall ist, dürften alle genannten Erklärungsmöglichkeiten ein Stück weit zutreffen. "Und eine Kombination daraus führt zu dem Ergebnis, das wir seit einiger Zeit sehen: ein schwächerer Dollar“, sagt Daalder. (aa)