Während viele Kapitalmarktteilnehmer davon ausgehen, dass sich die Wall Street, insbesondere im Falle eines weltweiten Bärenmarkts, besser als die europäischen Börsenplätze entwickeln sollte, hat Luca Paolini, Chefstratege von Pictet Asset Management eine konträre Meinung dazu. Vor dem Hintergrund, dass viele Vorlaufindikatoren eine weltweite wirtschaftliche Abschwächung signalisieren, droht laut seiner Einschätzung spätestens im Jahr 2020 eine Rezession. Der Pictet-Mann sieht für die USA in den kommenden zwölf Monaten eine Rezessionswahrscheinlichkeit von circa 30 Prozent.

In so einem Szenario sind Investoren bislang davon ausgegangen, dass sich die Weltleitbörse USA besser hält als beispielsweise die von der Weltkonjunktur stärker abhängigen Eurolandbörsen. Das könnte bei der nächsten Rezession aber nicht mehr so sein. Denn einerseits seien die US-Indizes durch die im Vergleich zur Vergangenheit stärkere Gewichtungen von Branchen wie Technologie und Finanzwerten viel konjunktursensitiver als früher. Zusätzlich würden die USA im Vergleich zu Europa zukünftig kein höheres BIP-Wachstum mehr aufweisen. Dafür verantwortlich seien die von der Trump-Administration während einer Boom-Phase prozyklisch getätigte Wirtschaftspolitik sowie die Steuererleichterungen die besser in einer Abschwungphase gepasst hätten. „Die von Trump getätigte, prozyklische Fiskalpolitik ist extrem gefährlich“, warnte Paolini.

USA könnten den Krieg verlieren
Die USA könnten den Handelskrieg zur Überraschung vier Marktteilnehmer verlieren, denn die US-Konjunktur sei wesentlich anfälliger als vermutet. Spätestens wenn der Handelskrieg zu einem Währungskrieg mutiert und die Chinesen und andere Länder zur Kompensation von Strafzöllen ihre Währungen gegenüber dem Greenback abwerten, könnte der starke US-Dollar die US-Wirtschaft unter Druck bringen. So berichtete Paolini, dass die von Trump verhängten Strafzölle gegen Mexiko das US-Unternehmen Walmart massiv schädigen.

Paolini monierte auch, dass der Rentenmarkt und auch der Aktienmarkt von einer Rückendeckung seitens der Fed ausgingen und mittlerweile Zinssenkungen für 2019 einpreisten. Der Pictet-Chefstratege ist sich da nicht so sicher und geht erst für das kommende Jahre von Zinssenkungen aus, weil dann die Fed auf die mittlerweile eingetretene Rezession reagieren müsse.

"Größtes Risiko ist nicht der Handelskrieg", warnte Paolini und verwies auf eine unterschätzte Risikoquelle: Viele Investoren erwarten zu hohe Gewinnsteigerungsraten bei den US-Unternehmen, insbesondere bei den Technologie-Firmen, sodass hohe Enttäuschungspotenzial bestünde. "Es ist zu viel Optimismus eingepreist, das ist ein Risiko für die Aktienmärkte.“ Der Ökonom erwartet, dass der US-Aktienmarkt im Jahr 2024 ungefähr auf demselben Niveau wie heute notieren werde. Daher seien Alternativen gefragt.

USA und Euroland künftig im Gleichschritt
Zukünftig würden die USA und Euroland relativ vergleichbare Wachstumsraten in einer Bandbreite zwischen ein und zwei Prozent des BIPs aufweisen. Während Anleger für die USA und den US-Dollar viel zu optimistisch und entsprechende "überinvestiert“ seien, ist dies für europäische Aktien und den Euro umgekehrt. Das sorgt für Opportunitäten: Falls die Eurozone in den kommenden Wochen die niedrigen Investorenerwartungen hinsichtlich wichtiger Konjunkturzahlen überraschend überbieten sollte, könnten die Eurolandbörsen Kursgewinne verzeichnen. Laut Paolini würden in Europa von vielen unbemerkt die Löhne und die Kreditvergaben der Banken steigen und die Arbeitslosigkeit zurückgehen. Das würde über eine steigende Kaufkraft die Binnennachfrage steigen und könnte für Europa „eine positive Überraschung ergeben“.

Aber nicht nur Euroland ist kaufenswert, auch der von internationalen Fondsmanagern derzeit verschmähte britische Aktienmarkt ist ein Engagement wert: Denn sowohl Pfund, als auch britische Aktien seien derzeit günstig bewertet, wobei gerade das niedrige Pfund für höhere UK-Unternehmensgewinne sorgen sollte. Kaufenswert sind darüber hinaus auch Aktien und Anleihen der Schwellenländer sowie Gold, falls der US-Dollar in den kommenden Jahren schwächer notieren sollte. (aa)