Auf die Frage nach einem 2019er Kursziel für den Dax hat Peter E. Huber, Vorstand und Leiter des Starcapital-Portfoliomanagements, eine klare Antwort: "Solche Prognosen taugen absolut nichts.“ Schlimmer noch: Sie könnten für Anleger sogar schädlich seien. Weshalb, erläutert Huber in der aktuellen Ausgabe seines Kommentars. (ps)


Wenn man derzeit mit Investoren spricht, kommt über kurz oder lang unweigerlich immer dieselbe Frage: "Wo sehen Sie den Dax Ende 2019?" Dies ist kein Wunder, denn die aktuelle Entwicklung (Brexit, Italien, Handelskrieg, Wirtschaftsabschwächung) verunsichert mehr denn je und verstärkt den Wunsch nach Orientierung. Zahlreiche Banken und Vermögensverwalter kommen diesem Bedürfnis gerne nach und so werden die einschlägigen Finanzpostillen gerade zum Jahresende wieder voll sein mit entsprechenden Prognosen.

Das Problem dabei ist, dass diese Prognosen absolut nichts taugen, wie unsere langfristigen Auswertungen eindeutig ergeben haben. Die berühmten Affen mit ihren Dartpfeilen haben nachweislich eine größere Treffsicherheit als die selbsternannten Börsenauguren. Es macht deshalb wenig Sinn und ist für den Anleger sogar schädlich, wenn er sich daran orientiert.

Dies liegt daran, dass die Märkte auf kurze bis mittlere Sicht sehr effizient sind. Alle bekannten Informationen sind genauso in den aktuellen Kursen bereits enthalten wie die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der weiteren Entwicklung. Im Klartext: Die Entwicklung an den Börsen wird von Faktoren bestimmt, die erst in der Zukunft eintreten. Leider kennen wir aber niemanden, der eine Glaskugel besitzt und deshalb entsprechend zuverlässige Prognosen abgeben kann.

Die Alternative zu einer prognosebasierten ist eine bewertungsorientierte Anlagestrategie. Man kauft Aktien dann, wenn sie im historischen Vergleich unterbewertet sind und hofft, dass sie sich über kurz oder lang immer mal wieder ihrem Mittelwert annähern. Auf neudeutsch nennt man das "mean reversion". Kostolany hat das einmal mit dem Spaziergänger verglichen, der mit seinem Hund unterwegs ist. Der Hund symbolisiert die Börse. Er springt einmal vorneweg und ist manchmal weit hinten, kehrt aber immer mal wieder zu seinem Herrn zurück, der den fairen Wert verkörpert. Voraussetzung ist natürlich, dass es solche objektiven Bewertungsfaktoren gibt, die langfristig stark mit der Börsenentwicklung korrelieren. Und tatsächlich gibt es solche Einflussfaktoren.

So weisen langfristig sowohl die Entwicklung der ertragsorientierten Unternehmensgewinne als auch der substanzorientierten Buchwerte eine enge Korrelation zur Börsenentwicklung auf. Da die Unternehmensgewinne seit Erfassung der Daten um einen Wachstumspfad von 4,1 Prozent nominal jährlich schwanken, lässt sich die künftige langfristige Gewinnentwicklung gut schätzen – auch wenn die jährlichen Schwankungen um den durchschnittlichen Gewinnanstieg konjunkturbedingt beachtlich sind. Die Schätzungen sind vergleichbar zuverlässig wie das Wachstum der Weltbevölkerung und die Veränderung der Lebenserwartungen, bei denen es auch nicht so leicht zu Trendänderungen kommt. Die von unserer Kapitalmarktforschung entwickelten Zielbandbreiten in der Börsenentwicklung sind auf Sicht von 12 bis 15 Jahre somit recht zuverlässig. Daraus lassen sich allerdings leider keine kurz- und mittelfristigen Börsenprognosen ableiten, das heißt: Bereits hoch bewertete Börsen können weiter steigen, niedrig bewertete Märkte durchaus weiter fallen. Trotzdem sind die Projektionen sehr wertvoll und eine große Hilfe.

Wir haben für den Dax bereits 2013 einen Korridor mit einem Kurspotential für deutsche Aktien bis 2028 bestimmt und auch regelmäßig in der StarInvest veröffentlicht. In den letzten fünf Jahren schwankte der Dax zuverlässig innerhalb dieses Korridors um den rot markierten Mittelwert. Man kann also trotz der nur langfristig gültigen Systematik auch für den kurz- und mittelfristigen Kursverlauf gewisse Aussagen ableiten. 

Danach sieht es für 2019 wie folgt aus:

  1. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent wird sich der Dax in einem Korridor von 11.000 und 14.000 Punkten bewegen.
  2. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent wird sich der Dax in einem Korridor von 10.000 und 16.000 Punkten bewegen.
  3. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent wird der Dax nicht unter 10.000 Punkte fallen.
  4. Das mittlere Kurspotenzial per Ende 2019 (rot markiert) liegt bei 13.000 Punkten.
  5. Das langfristige Kurspotential per Ende 2028 liegt, wie bereits 2013 definiert, bei einem Mittelwert von 27.000 Punkten.

Wie oben erwähnt, beruhen die Berechnungen auf dem langfristig geglätteten Gewinntrend (Shiller-KGV) und der Entwicklung der Buchwerte. Schon aufgrund dieser sehr einfachen Bewertungsmodelle ergibt sich also ein extrem günstiges Chance/Risiko- Verhältnis für die Aktienmärkte. Diese Modelle kann man noch verfeinern. Nach wissenschaftlicher Definition errechnet sich der Fair-Value von Aktien und Aktienmärkten als Barwert der künftigen Unternehmensgewinne. Neben den Unternehmensgewinnen, deren Anstieg langfristig sehr konstant und damit gut zu schätzen ist, spielt somit auch der Abzinsungsfaktor eine wichtige Rolle. Hier wird normalerweise der langfristige Zins in Form der Renditen zehnjähriger Bundesanleihen genommen. In der Vergangenheit schwankte dieser Zinssatz um die sechs Prozent und wurde deshalb als konstant angenommen. Nach dem FED-Modell berechnet sich der Fair-Value eines Marktes, indem man 100 durch den Zehn-Jahres-Zins dividiert. Und tatsächlich: 100 : 6 = 16,7. Dies entspricht dem durchschnittlichen Shiller-KGV seit dem Zweiten Weltkrieg und kann deshalb durchaus als "Mittelwert“ angenommen werden.

In den letzten 30 Jahren hat allerdings parallel zu dem Anstieg der weltweiten Verschuldung ein beispielloser Zinsverfall eingesetzt. Zehnjährige Bundesanleihen rentieren gerade noch mit 0,3 Prozent. Ein Anstieg auf das frühere Normalniveau würde die Schuldentragfähigkeit aller großen Industrienationen komplett übersteigen. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen künftig eher um drei als um sechs Prozent schwanken wird – was schon einen phänomenalen Anstieg voraussetzt.

Der Fair-Value der Aktienmärkte würde sich unter dieser Voraussetzung verdoppeln. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Dax unseren Bewertungskorridor nach oben verlässt ist somit viel größer als ein Ausbruch nach unten. Wir werden deshalb ein mögliches Andauern der aktuellen Schwächephase konsequent zum weiteren Ausbau unserer Aktienpositionen nutzen. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg im Börsenjahr 2019 und vor allem Mut für antizyklische Aktienkäufe! Nur wer gegen den Strom schwimmt, kommt zur Quelle.