Dass die EU-Taxonomie Kernkraft nun fix als nachhaltige Energiequelle klassifiziert hat, löste im Atomkraft-kritischen Österreich breites öffentliches Unverständnis aus. Investments in den Bereich gelten damit quasi "amtlich beglaubigt" als "grün". Werden sich damit auch die hiesigen Standards nach unten nivellieren? Nein, sagten Experten in  einer Diskussion beim Finanzjournalistenforum. In der österreichischen Investmentindustrie dürfte der Schritt der Europäischen Union (EU) wenig Relevanz haben, da Konsumenten und Markt ohnehin ein viel breiteres Nachhaltigkeitsverständnis hätten.

"Wir haben mit vielen Kapitalanlagegesellschaften gesprochen und keine einzige sagt, sie orientiert sich jetzt an der Taxonomie", so Josef Obergantschnig, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Obergantschnig Financial Strategies. Auch große institutionelle Investoren wie die Vorsorgekassen, die die Nachhaltigkeitswelle ins Rollen gebracht hätten, würden ihre Linie auf jeden Fall beibehalten. Alles andere würde Glaubwürdigkeitsfragen nach sich ziehen. Und von den Retailanlegern sei eine ähnliche Einstellung zu erwarten: "Wer schon bis jetzt Kernkraft-frei investiert hat, ändert das nicht, nur weil jetzt die EU sagt, das ist grün", so Obergantschnig.

UZ 49 bleibt Atomstromfrei
In diesem Zusammenhang dürfte auch der Stellenwert nationaler Umwelt-Labels steigen. Zwar arbeitet die EU an ihrem "Ecolabel", das europaweit Fondsanlegern als einheitliche Orientierung dienen soll. Allerdings baut das Siegel auf der Taxonomie auf, und damit scheint ein Kernkraft-Ausschluss nicht realistisch. Anders ist das beim vom österreichischen Umweltministerium vergebenen Umweltzeichen für Finanzprodukte (UZ 49). Aufgrund der in Österreich vorherrschenden Kernkraft-Ablehnung sei nicht zu erwarten, dass eine Anpassung an EU-Kriterien vorgenommen wird, betont Raphael Fink, der beim Verein für Konsumenteninformation (VKI) im Auftrag des Umweltministeriums die UZ-49-Richtlinien betreut. Eine Überarbeitung findet alle vier Jahre statt. Atomkraft ist beim UZ 49 ein Tabu.

Zumindest gilt das weitgehend: Bei allen Ausschlusskriterien gilt eine Toleranzschwelle von fünf Prozent des Umsatzes akzeptiert, um die Anwendung des UZ 49 für Fonds zu ermöglichen. Was viel klingt, würde praktisch nie ausgereizt und sei in der Realität verschwindend gering, so Fink. Bei den UZ-49-Fonds würden nur fünf von knapp 1.380 investierten Unternehmen einen minimalen Atomkraftanteil aufweisen, so Fink.

Null-Toleranz-Strategie für Fonds nicht handhabbar
Anders wäre es Portfoliomanagern kaum möglich, einen Fonds zusammenzustellen, betont auch Obergantschnig, der einst selbst Fondsmanager war: "Eine Null-Prozent-Strategie bei Glücksspiel hieße zum Beispiel, dass man Bereiche wie Telekom, Hotellerie oder Reiseunternehmen ausschließen müsste, weil hier oft minimale Umsatzanteile aus Glücksspiel stammen", so der Experte.

Die EU hat am Mittwoch vergangener Woche (2. Februar) entschieden, dass Atomkraft und Erdgas vorerst in die Taxonomie-Liste nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten aufgenommen werden, mit denen die Reduktion der Treibhausgasemissionen gelingen soll (Link zum delegierten Akt). Neue Kernkraftprojekte können darin unter der Einhaltung gewisser Vorgaben zumindest bis 2045 als klimafreundlich anerkannt werden. Die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler hat eine Klage angekündigt.  

Anleger entscheiden
Wolfgang Pinner, Investitionschef für Nachhaltigkeit bei der Raiffeisen Capital Management (RCM), geht nicht davon aus, dass die Anleger nach der EU-Entscheidung ihr Verhalten ändern. Bereits jetzt sei unter Österreichs Investoren Atomkraft hinter Waffen und Kohle, der drittgewichtigste Ausschlussfaktor. "Niemand muss in Atomenergie investieren", so Pinner.

Natürlich lässt sich einwenden, dass diese Ausschlussstrategie Anlegern im Unternehmensbereich um einiges leichter fällt. Wenn man hingegen in sichere Staatsanleihen gehen möchte, wird es schwieriger: Jedes vierte Atomkraftwerk weltweit steht in Europa, einige Meiler auch in Deutschland, dem "Benchmark-Land" unter Staatsanleihenemittenten. Für Investments in Staatsanleihen habe RCM einen Indikator kreiert, erklärt Pinner. Dieser soll der Orientierung bieten. Wie sensibel hier Anleger sind, unterliege stark dem "Lokalkolorit". Während Atomkraft in Österreich das Top-drei-Ausschlusskriterium ist, rangiere das Thema bei deutschen Investoren nur auf Platz acht und in der Schweiz komme es gar nicht vor. (eml)