Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Robert Holzmann, warnt die Europäische Zentralbank (EZB) vor zu viel Tempo bei der Zinswende. In einem Interview mit der deutschen Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" sagt er: "Ich sehe überhaupt keinen Anlass, dass wir die Leitzinsen zu schnell zu stark senken." Jeder Zinsschritt müsse durch die jeweils verfügbaren Daten zu rechtfertigen sein.

Die Aussagen des EZB-Ratsmitglieds können in die Richtung gedeutet werden, dass die EZB nach einem ersten Zinsschritt im Juni eine Pause einlegen könnte. So sagt der OeNB-Gouverneur: "Sollte es im Juni so weit sein, werden sicherlich weitere Schritte folgen." Er weist zugleich darauf hin, dass im September und Dezember viele neue Daten und Prognosen vorliegen. Im Juli dagegen kaum. Die EZB veröffentlicht ihre makroökonomischen Projektionen viermal jährlich: im März, Juni, September und Dezember. Holzmann, der als stabilitätsorientierter Geldpolitiker gilt, tritt damit Forderungen anderer Euro-Notenbanker entgegen, im Juli mit der nächsten Zinssenkung nachzulegen.

US-Notenbank "der Gorilla im Raum"
Mit Hinsicht auf den Einfluss der US-Geldpolitik äußert er sich etwas anders als EZB-Chefin Christine Lagarde. Sie hatte zuletzt die Unabhängigkeit der EZB-Entscheidungen von den US-Leitzinsen hervorgehoben. Laut Holzmann zeigen die ökonomischen Modelle aber, dass Fed-Entscheidungen auf Europa durchschlagen. Dazu sagt er: "Bis zu einem gewissen Grad sind wir mit unseren Daten und Entscheidungen naturgemäß von der Fed beeinflusst." Die Fed sei mit dem Dollar im übertragenen Sinn "der Gorilla im Raum". Die US-Notenbank hat Zinssenkungen angesichts der hartnäckigen US-Inflation vorerst weiter aufgeschoben.

Mit Blick auf die Konjunktur sieht Holzmann die europäische Wirtschaft im Nachteil gegenüber den USA. Dort würden unter anderem die hohen staatlichen Ausgaben die Wirtschaft stimulieren: "Die USA fahren aktuell ein Haushaltsdefizit von sieben Prozent, das wird die Nachfrage weiter beleben." Außerdem gehe in den USA ein deutlich stärkerer konjunktureller Impuls von den Investitionen in künstliche Intelligenz aus.

Geopolitik könnte Inflationsrückgang ausbremsen
Risiken für die Inflation und damit für künftige Zinssenkungen sieht er aufgrund der geopolitischen Entwicklungen vor allem in den Energiepreisen. Eine Verschärfung der Situation im Nahen Osten könne den Ölpreis deutlich verteuern und damit auch die Verbraucherpreise erhöhen. Langfristig hält Holzmann einen Rückgang der Inflation für möglich, er rechnet aber mit anhaltend höherem Inflationsdruck. So erfordere die Energiewende hohe Investitionen und Europa müsse mehr Investitionen anziehen, um gegenüber Amerika wettbewerbsfähiger zu werden. Diese Kombination wird seiner Einschätzung nach Zinsen und Inflation tendenziell nach oben treiben. (jh)