Der Top-Ökonom und frühere Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hat in seiner Rede auf dem FONDS professionell KONGRESS 2018 in Mannheim vor den Folgen einer "entgrenzten" Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) gewarnt. "Die EZB hat alle Probleme mit der Druckerpresse gerichtet", wetterte der renommierte Konjunkturforscher. Doch tatsächlich habe die Notenbank damit nur die Strukturprobleme insbesondere der südlichen EU-Staaten übertüncht. Zur Eröffnung des Branchentreffs hatte der ehemalige EZB-Präsident Jean–Claude Trichet die Arbeit der Währungshüter – und damit seine eigenes Vermächtnis – gelobt.

Sinn stellte sich damit zum Teil gegen die in der Finanzbranche weit verbreitete Meinung, dass ein weltumspannender Wirtschaftsaufschwung Fuß gefasst habe. Zwar sieht auch Sinn deutliche Anzeichen einer Besserung. "Die Weltwirtschaft ist gut unterwegs", sagte der Ökonom. Doch er mahnte, die Risiken nicht aus den Augen zu verlieren. Sinn sprach in Mannheim auf Einladung des Asset Managers Amundi.

"Die Welt gerät in Unordnung"
So könne die Steuerreform des US-Präsidenten Donald Trump zwar "atemberaubende Effekte" haben. Doch Sinn verweist auf Parallelen zur Vergangenheit. Der Schritt erinnere an die Maßnahmen des Vorgängers Ronald Reagan in den 1980er-Jahren. Dieser habe mit seinem Wirtschaftsprogramm am Ende ein Haushaltsdefizit von 600 Milliarden Dollar aufgetürmt.

Reagans Maßnahmen hätten die Zinsen angetrieben und den Dollar aufwerten lassen. Dies habe die hoch verschuldeten Länder Lateinamerikas in die Pleite getrieben. "Reagans ultra-keynesianische Politik mündete in einer Weltwirtschaftskrise", erläuterte Sinn. "Und Trumps Programm hat eine noch viel größere Dimension. Die Welt gerät in Unordnung", sagte der Ökonom.

"Goldene Phase für Deutschland"
Um die Konjunktur Deutschlands wiederum sei es gut bestellt. "Die Lage ist so optimal, das ist kaum vorstellbar. Wir werden später von einer goldenen Phase für Deutschland sprechen", meinte Sinn. Deutschland sei im europäischen Vergleich günstig aufgestellt, weil die Südstaaten vor der Lehman-Pleite die Preisblase voll mitmachten, Deutschland aber nicht. Bei den Mittelmeer-Anrainern schlug die Krise hingegen voll zu, argumentierte Sinn.

"Keynesianisches Strohfeuer"
Und im Gegensatz zu anderen Beobachtern sieht der Ex-Ifo-Präsident die Krise noch nicht ausgestanden. "Der Süden ist noch nicht wettbewerbsfähig", hielt Sinn fest. Dank des billigen Geldes der EZB hätten sich die Staaten weiter verschulden können. Damit hätten sie aber nur ein "keynesianisches Strohfeuer" entfacht. "Die Strukturprobleme sind noch nicht ausgestanden." Zudem berge die Wahl in Italien erhebliche politische Risiken, da die aussichtsreichsten Kandidaten den europäischen Kurs ablehnten.

Zeichen für eine Zinswende im Euro-Raum mag Sinn daher nicht erkennen – ganz im Gegenteil. "Die EZB möchte noch weiter runter mit den Zinsen", meint Sinn. "Die Länder im EZB-Rat sind verschuldet und möchten sich entschulden." Die drückende Last der Darlehen sollte damit praktisch weginflationiert werden.

Warum der 500-Euro-Schein wirklich verschwinden musste
Ein weiterer Schritt dazu sei die Abschaffung großer Geldscheine. Mit den Negativzinsen mache die EZB das Parken von Geld unattraktiv, mit der Abschaffung des 500-Euro-Scheins verteuere sie nun auch die "Tresorkosten" für physisches Geld. "Die Banken horten massiv Bargeld in ihren Tresoren. Das ist ein Dorn im Auge der EZB", behauptet Sinn. Nun bräuchten die Institute wesentlich mehr Platz in Tresoren – das kostet Geld. "Und der Öffentlichkeit wird erzählt, dass man mit diesem Schritt Kleinkriminellen das Handwerk legen will", so der Ökonom.  

Schließlich warnte Sinn vor einem weiteren Risiko für Europa, das sehr unterschätzt werde: der Austritt Großbritanniens. Gemessen an der Wirtschaftsleistung verhalte sich dies so, als würden 19 kleinere der insgesamt 28 EU-Mitglieder ausscheiden – mit gewaltigen Folgen für den Wirtschaftsraum. "Kein Stein bleibt da auf dem anderen", prognostizierte Sinn. Zudem verändere der Brexit die Machtbalance. "Die unumschränkten Anhänger des Freihandels verlieren ihre Sperrminorität", warnte Sinn. "Und Deutschland ist im Verhältnis zu seiner Bevölkerungsgröße künftig noch weniger im EU-Ministerrat repräsentiert als bislang." (ert)